Leitsatz (amtlich)

1. Die Quarantäne unentbehrlicher Verfahrensbeteiligter, die einer planmäßigen Fortführung der Hauptverhandlung entgegensteht, kann wie andere nicht behebbare unabwendbare Schwierigkeiten oder unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO eine zur Aussetzung der Hauptverhandlung zwingende Verhinderung darstellen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen.

2. Gleichwohl kommt es entscheidend darauf an, ob das Gericht zur Vermeidung der mit einer Aussetzung (oder nunmehr nach § 19 EGStPO längeren Unterbrechung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2) der Hauptverhandlung notwendig verbundenen Verfahrensverzögerung seinerseits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, das Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen.

 

Normenkette

StPO §§ 121-122, 229

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 17 KLs 230 Js 89362/19)

 

Tenor

Die Untersuchungshaft des Angeklagten hat

fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die weitere Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

 

Gründe

I.

Der am 3. September 2019 vorläufig festgenommene Angeklagte befindet sich seit dem 4. September 2019 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts S. vom selben Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Der auf Fluchtgefahr gestützte Haftbefehl legt dem Angeklagten gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs tatmehrheitlichen Fällen gemäß § 1 Abs 1 i.V.m. Anlage II, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zur Last. Der Angeklagte soll von Dezember 2017 bis April 2018 jeweils aufgrund neuen Tatentschlusses in fünf Fällen der gesondert verfolgten T. in S. zwischen 50 und 227 Gramm Methamphetamin zum Grammpreis von 60 Euro verkauft haben, wobei der Angeklagte die Lieferung von 150 Gramm im Dezember 2017 nach Reklamation der schlechten Qualität zurückerhalten haben soll. Ferner soll er am 3. September 2019 in der Wohnung der gesondert verfolgten K. in S. 148,53 und 10,16 Gramm brutto Methamphetamin zum gewinnbringenden Weiterverkauf verwahrt haben.

Mit Anklageschrift vom 18. Dezember 2019 erhob die Staatsanwaltschaft wegen der dargestellten Vorwürfe - sowie wegen zwölf weiterer Taten - Anklage zum Landgericht S.. Danach soll der Angeklagte ferner zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt Ende Oktober bis November 2017 und im Februar / März 2018 in jeweils in einem Fall, bis April 2018 in weiteren vier Fällen, im Zeitraum Mitte Oktober bis Dezember 2018 in weiteren fünf Fällen, zu nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkten zwischen Sommer 2018 und August 2019 in weiteren fünf Fällen und am 31. August 2019 jeweils mindestens 50 Gramm in zwei Fällen, jeweils mindestens 100 Gramm in 14 Fällen und 55 Gramm Methamphetamin guter Qualität aus den Niederlanden nach S. verbracht und an vier Personen zum gewinnbringenden Preis in zwei Fällen von 5.000 Euro, in vier Fällen von 4.500 Euro, in einem Fall von 4.000 Euro bzw. in vier Fällen zum Grammpreis von 55 Euro und in sechs Fällen zum Grammpreis von 50 Euro verkauft sowie am 2. September 2019 gemeinschaftlich 157,30 Gramm (netto) Methamphetamin aus den Niederlanden nach S. verbracht haben, um es gewinnbringend an den gesondert verfolgten R. zu verkaufen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Haftbefehl und die Anklageschrift Bezug genommen.

Die Vorsitzende der zuständigen Strafkammer verfügte am 19. Dezember 2019 die Zustellung der Anklage mit einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen und sprach am 2. Januar 2020 mit dem Verteidiger drei Hauptverhandlungstermine ab 21. Februar 2020 ab. Die Eröffnungsentscheidung der Strafkammer erfolgte am 29. Januar 2020 und am selben Tag wurde - entsprechend der vorangegangenen Terminabsprache mit dem Verteidiger - Termin zur Hauptverhandlung auf den 21. Februar 2020 mit Fortsetzungsterminen am 4. und 24. März 2020 bestimmt. Der Haftbefehl wurde an den angeklagten Sachverhalt bisher nicht angepasst.

Die ursprünglich auf drei Verhandlungstage vorgesehene Hauptverhandlung wurde durch Beschluss des Landgerichts vom 23. März 2020 ausgesetzt. Neuer Termin zur Hauptverhandlung soll umgehend nach Aktenrücklauf mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmt werden. Das Landgericht erachtet die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und hat dem Oberlandesgericht deshalb die Akten am 23. März 2020 zur Prüfung der Haftfortdauer vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.

Dem Angeklagten wurde über seinen Verteidiger Gelegenheit gegeben, sich zur Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft gegenüber dem Oberlandesgericht zu äußern. Der Verteidiger des Angeklagten beantr...

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