Entscheidungsstichwort (Thema)
Cannabisgesetz. Zuständigkeit. Strafvollstreckungskammer. erkennendes Gericht. Zuständigkeit des erkennenden Gerichts für Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB
Leitsatz (amtlich)
Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.
In der Sache geht es nicht um Zweifel über die Berechnung einer bereits "erkannten Strafe" (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen.
Normenkette
EGStGB Art. 313, 316p; StPO § 462
Verfahrensgang
LG Hechingen (Entscheidung vom 29.10.2020) |
LG Tübingen (Entscheidung vom 02.05.2024; Aktenzeichen 11 StVK 39/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Landgerichts - 11. Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 2. Mai 2024 wird als unbegründet
verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
1. a) Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Landgerichts Hechingen vom 29. Oktober 2020, rechtskräftig seit 6. November 2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Zugrunde lagen Brandstiftung und Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstandes, konkret der Besitz von 30 Gramm Marihuana und eines Butterflymessers am 29. April 2020. Es wurden Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten sowie von drei Monaten festgesetzt, wobei bei letzteren der Strafrahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zugrunde gelegt wurde.
b) Nach Verbüßung von zwei Dritteln wurde mit Beschluss der 11. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen vom 5. November 2021 die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt und die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre festgelegt.
c) Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat unter dem 5. April 2024, eingegangen beim Landgericht Tübingen am 15. April 2024, bei der dortigen Strafvollstreckungskammer beantragt, hinsichtlich der für die tateinheitlich verwirklichten Delikte des Besitzes von Betäubungsmitteln und des Besitzes eines verbotenen Gegenstandes verhängten Strafe eine neue Strafe von zwei Monaten festzusetzen, weil der Strafrahmen aus dem nunmehr - aufgrund des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) - straflosen Verhalten entnommen worden sei. Ferner beantragte die Staatsanwaltschaft, festzustellen, dass der Gesamtstrafenausspruch unberührt bleibe, weil die Ermäßigung der Einzelstrafe nicht zu einer Herabsetzung zwinge und die bereits erkannte Gesamtstrafe auch weiterhin angemessen und erforderlich sei.
d) Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen hat mit Verfügung vom 17. April 2024 den Verurteilten darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger rechtlicher Würdigung die Entscheidung über die Festsetzung einer neuen Einzelstrafe und die Entscheidung über die Höhe der Gesamtstrafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts falle und die Strafvollstreckungskammer unzuständig sei.
e) Der Verurteilte hat mitgeteilt, dass "die Zuständigkeit an das Landgericht Hechingen übertragen werden" könne.
f) Mit angegriffenem Beschluss vom 2. Mai 2024 hat das Landgericht - 11. Strafvollstreckungskammer - Tübingen den Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen als unzulässig zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer unter anderem dargelegt, dass von einer bindenden Abgabe der Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs nach § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen werde, weil eine solche die nicht gegebene Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer voraussetzte. Zur Begründung der Unzuständigkeit hat die Strafvollstreckungskammer unter näherer Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass sich eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nur aus § 462a Abs. 1, Abs. 4 StPO ergeben könne, auf den Art. 313 Abs. 5 EGStGB aber nicht verweise. Selbst wenn diese Zuständigkeitsnorm sinngemäß Anwendung fände, könne sich hieraus in Fällen, in denen in Bezug auf rechtskräftige Straferkenntnisse nachträglich eine Strafe und gegebenenfalls eine Gesamtstrafe festzusetzen sei, nach § 462a Abs. 3 StPO allein die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs ergeben. Eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für eine Festsetzung von Strafen sehe § 462a StPO nicht vor. Eine solche Zuständigkeit lasse sich...