Leitsatz (amtlich)

Zuständigkeitsbestimmung: Entscheidungen im Rahmen der Überwachung eines Vormundes oder Pflegers sowie über deren Kostenabrechnungen sind Endentscheidungen i.S.v. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG. Für diese ist seit dem 1.9.2009 das Familiengericht zuständig, auch wenn das Ausgangsverfahren betreffend den Entzug der elterlichen Sorge oder deren Ruhen vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde.

 

Normenkette

FamFG § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 38 Abs. 1 S. 1, § 111 Nr. 2, § 151 Nr. 4; FGG-RG Art. 111 Abs. 1, Art. 2

 

Verfahrensgang

AG Stuttgart (Aktenzeichen 4 VG 11/2008)

Notariat Stuttgart (Aktenzeichen 11 F 314/10)

 

Tenor

Als zuständiges Gericht für die weitere Führung der Vormundschaft wird das AG Stuttgart - Familiengericht - bestimmt.

 

Gründe

I. Die am 28.10.1995 geborene Beteiligte Ziff. 1, welche aus dem Irak stammt, wurde nach ihrer Einreise nach Deutschland im Jahre 2007 von ihrem in Stuttgart lebenden Onkel, dem Beteiligten Ziff. 2, in dessen Haushalt aufgenommen. Auf Anregung der Landeshauptstadt Stuttgart sprach das AG Stuttgart - Familiengericht - mit Beschluss vom 16.1.2008 aus, dass die elterliche Sorge für das Kind ruht, weil die Eltern aus tatsächlichen Gründen an der Ausübung der elterlichen Sorge verhindert sind (§ 1674 Abs. 1 BGB). Weiterhin ordnete das AG Stuttgart - Familiengericht - Vormundschaft an und überließ die Auswahl, Bestellung und Überwachung des Vormundes dem Notariat - Vormundschaftsgericht - Stuttgart. Dieses bestellte den Beteiligten Ziff. 2 mit Beschluss vom 30.1.2008 zum Vormund.

Am 8.2.2010 legte der Vormund eine Abrechnung für die Verwaltung des Vermögens des Mündels dem Notariat Stuttgart in seiner Funktion als Vormundschaftsgericht zur Prüfung vor. Dem war ein Antrag auf Aufwandsentschädigung des Vormunds vom 7.2.2010 beigefügt.

Das Notariat Stuttgart - Vormundschaftsgericht - legte den Vorgang am 8.2.2010 dem AG Stuttgart - Familiengericht - zur Bearbeitung in eigener Zuständigkeit vor und bezog sich dabei auf Art. 111 FGG-RG. Mit Schreiben vom 23.4.2010 gab das AG Stuttgart - Familiengericht - den Vorgang an das Notariat Stuttgart als Vormundschaftsgericht zurück und begründete die Rückgabe damit, dass die Zuständigkeit weiterhin bei diesem liege, weil bislang kein Antrag gestellt worden sei, welcher zu einer Endentscheidung i.S.v. § 38 FamFG führt.

Mit Beschluss vom 14.5.2010 beantragte das Notariat Stuttgart - Vormundschaftsgericht - eine Entscheidung des OLG Stuttgart über die Zuständigkeit des Notariats Stuttgart als Vormundschaftsgericht bzw. des AG Stuttgart - Familiengericht.

II.1. Der Antrag auf Bestimmung der Zuständigkeit ist gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zulässig. Dabei ist das ab 1.9.2009 geltende Recht anzuwenden, weil der Bestimmungsantrag nach diesem Zeitpunkt gestellt wurde. Bei Maßnahmen und Entscheidungen im Bereich des Vormundschaftsrechts handelt es sich nunmehr um Familiensachen (§§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 4 FamFG). Die Ausnahmevorschrift des § 113 Abs. 1 FamFG, welche für Ehesachen und Familienstreitsachen auf die Anwendung der Vorschriften der ZPO verweist, findet keine Anwendung, weil die hier betroffenen Verfahrensgegenstände weder unter den einen noch unter den anderen Begriff fallen. Das OLG Stuttgart ist als nächsthöheres gemeinsames Gericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG) zur Entscheidung berufen.

2. Gemäß dem Antrag des Notariats Stuttgart - Vormundschaftsgericht - ist das AG Stuttgart - Familiengericht - nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG als zuständiges Gericht zu bestimmen.

a) Die Abgrenzung der funktionellen Zuständigkeit in Kinderschutzsachen zwischen Familiengericht und Vormundschaftsgericht war in der Vergangenheit Gegenstand mehrerer gesetzgeberischer Änderungen. Bis zum Inkrafttreten des Kindschaftsrechts-reformgesetzes am 1.7.1998 gehörten Verfahren nach §§ 1666, 1674 BGB einschließlich aller Folgeentscheidungen in die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts. Nach der ab 1.7.1998 geltenden Rechtslage war die Zuständigkeit in Kinderschutzsachen aufgespalten. Die Ausgangsentscheidung nach §§ 1666 oder 1674 BGB war vom Familiengericht zu treffen, während die Folgeentscheidungen wie die Bestellung des Vormundes oder Pflegers sowie deren Überwachung weiterhin dem Vormundschaftsgericht oblagen, wobei wiederum Sonderregelungen für Eilfälle bestanden (hierzu OLG Stuttgart FamRZ 2001, 364). Diese Aufspaltung führte zu Unklarheiten in der Zuständigkeitsabgrenzung. Sie wurde durch die Praxis als unbefriedigend empfunden, auch weil bei den in der Regel eilbedürftigen Kinderschutzverfahren das Tätigwerden zweier Gerichtsbarkeiten zu unerwünschten Verzögerungen führte (hierzu Bestelmeyer FamRZ 2000, 1068). Dem Bedürfnis der Praxis folgend hat der Gesetzgeber des FamFG die Kinderschutzverfahren vollständig in die Zuständigkeit der Familiengerichte verwiesen. Für die (ehemaligen) Vormundschaftsgerichte verblieb lediglich die Zuständigkeit in Betreuungssachen.

b) Nach der familiengerichtlichen Anordnung von Vormundschaft oder Pflegschaft sind über einen längeren Zeitraum, nicht sel...

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