Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Feststellung des Tatbestandsmerkmals rücksichtslos im Sinn von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB
Leitsatz (amtlich)
Aus einem gefährlichen Verstoß gegen die Straßenverkehrspflichten kann nicht auf Rücksichtslosigkeit geschlossen werden, wenn eine Fehleinschätzung des Fahrzeugführers vorliegt, die ein Augenblicksversagen darstellt.
Verfahrensgang
AG Bad Saulgau (Entscheidung vom 21.03.2017; Aktenzeichen 2 Cs 27 Js 22772/16) |
Tenor
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 21. März 2017 - 2 Cs 27 Js 22772/16 - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Saulgau zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bad Saulgau hat den Angeklagten am 21. März 2017 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen á 15,00 € verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Zur Tat hat das Amtsgericht dabei folgendes festgestellt:
Der Angeklagte befuhr am 02.11.2016 gegen 17:45 Uhr mit seinem Pkw BMW 1C, amtliches Kennzeichen ... auf der K8274 von Haid/Heratskirch kommend in Richtung Hüttenreute. Es herrschte Dämmerung. Die Lichtverhältnisse geboten das Fahren mit Licht. Dem Angeklagten war die Strecke gut bekannt, da er diese eine Zeit lang häufig befuhr, um eine Freundin zu besuchen. Kurz von der Kreisgrenze - nach Passieren einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h - schloss der Angeklagte auf den in die gleiche Fahrtrichtung mit etwa 90 km/h fahrenden Pkw Renault Capture, amtliches Kennzeichen ..., des F. auf.
Der Angeklagte entschloss sich das Fahrzeug des Zeugen F. ohne weiteres Abbremsen zu Überholen. Hierbei machte er sich über die gegebenen Örtlichkeiten sowie über etwaigen Gegenverkehr keine besonderen Gedanken. Nach seiner unwiderlegbaren Einfassung wähnte er sich auf einer langen Geraden. Tatsächlich handelt es sich um ein in Fahrtrichtung des Angeklagten in einer leichten Rechtskurve verlaufendes Stück Straße, welches wieder in eine unübersichtliche Linkskurve übergeht. Die einsehbare Strecke beträgt etwa 300 Meter. Der Angeklagte hätte bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit und Anspannung ohne weiteres erkennen können, dass - als er zum Überholen ansetzte - ein gefahrloses Überholen unter Berücksichtigung eines etwaigen Gegenverkehrs nicht möglich ist. Dies gilt umso mehr, als ihm die Örtlichkeiten gut bekannt waren ...
Als der Angeklagte auf den Pkw des Zeugen F. aufgeschlossen hatte, zog er sein Fahrzeug ohne weiteres Abbremsen nach links, um den Überholvorgang auszuführen. In diesem Moment näherte sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h aus der Gegenrichtung der angesichts der Lichtverhältnisse mit Licht fahrende Pkw Lenker R. mit seinem VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen ... .
Der Zeuge F. .... realisierte ... die Gefährlichkeit des Vorganges und wich deshalb mit seinem Pkw soweit wie möglich nach rechts aus. Der [dem Angeklagten entgegen kommende] Zeuge R. ... erkannte... den Überholvorgang des Angeklagten und die Gefährlichkeit der Situation. Er erkannte zudem, dass er wegen einer [aus seiner Sicht] steilen, rechtsseitigen Böschung nicht nach rechts ins Feld ausweichen konnte. Allerdings sah er die Möglichkeit, an dem Pkw des Angeklagten - in Fahrtrichtung des Zeugen R. gesehen - links vorbeizufahren, da zwischen dem PKW F. und dem Angeklagten eine ausreichende Lücke war, da sich der Angeklagte immer noch hinter dem PKW F. [aber auf der Gegenfahrbahn] befand. Auch der Angeklagte versuchte noch rechts in Richtung der Böschung [wobei wohl auf die Perspektive des Zeugen R. abgestellt wird] auszuweichen. Trotzdem kam es - etwa 1,20 Meter vom linken Fahrbahnrand in Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen - zur Kollision der Fahrzeuge des Angeklagten und des Zeugen R., jeweils auf deren Beifahrerseite. ... [wodurch beide Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden und der Angeklagte leicht und der Zeuge R. so erheblich verletzt wurde, dass er zwei Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden musste]. ....
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger binnen der Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO "Rechtsmittel" eingelegt und dieses binnen der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO als Revision begründet (vgl. Schriftsatz vom 6. April 2017). Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und führt dies näher aus.
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat in ihrer Antragsschrift vom 21. Juli 2017 beantragt,
die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das nach §§ 335 Abs. 1, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsmittel der Sprungrevision hat (vorläufigen) Erfolg. Das Urteil hält der durch die Sachrüge veranlassten Überp...