Leitsatz (amtlich)

Ist ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren zunächst gemäß Art. 19 Abs. 1 EuEheVO auszusetzen, bis die internationale Zuständigkeit eines früher angerufenen Gerichts eines EU-Mitgliedstaates geklärt ist, führt dies nicht dazu, dass aus diesem Grund wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung Verfahrenskostenhilfe zu verweigern ist.

 

Normenkette

EuEheVO Art. 19 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Stuttgart (Beschluss vom 23.11.2015; Aktenzeichen 27 F 1109/15)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart vom 23.11.2015, Az. 27 F 1109/15, abgeändert.

2. Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt..., ratenfrei Verfahrenskostenhilfe für ihren Scheidungsantrag gemäß Schriftsatz vom 26.05.2015 bewilligt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten haben am 05.01.2007 die Ehe miteinander geschlossen. Die Antragstellerin ist moldawische Staatsangehörige, der Antragsgegner ist deutscher Staatsangehöriger.

Am 13.05.2014 kam es zur Trennung der Beteiligten durch Auszug des Antragsgegners aus der früheren gemeinsamen Ehewohnung der Beteiligten in Toulouse, Frankreich, in der die Antragstellerin nach der Trennung zunächst verblieb. Aus dieser Wohnung ist die Antragstellerin am 15.12.2014 ausgezogen. Sie wohnt seither mit dem gemeinsamen Sohn der Beteiligten, dem am 31.12.2008 geborenen..., in Stuttgart.

Die Antragstellerin hat im ersten Rechtszug vor dem AG - Familiengericht - Stuttgart Verfahrenskostenhilfe für den Antrag beantragt, die am 05.01.2007 geschlossene Ehe der Ehegatten zu scheiden.

Der Antragsgegner ist dem Verfahrenskostenhilfeantrag entgegengetreten.

Er beruft sich darauf, dass er am 18.08.2014 einen Antrag auf Ehescheidung beim Tribunal de Grande Instance in Toulouse eingereicht habe und dass seit diesem Zeitpunkt ein Scheidungsverfahren bei dem dortigen Gericht anhängig sei. Nachdem ein Scheidungsverfahren, das vor einem europäischen Gericht bereits anhängig sei, nicht vor einem anderen europäischen Gericht anhängig gemacht werden könne, sei das Familiengericht Stuttgart international unzuständig.

Das AG Stuttgart hat mit Beschluss vom 23.11.2015 den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Es hat darauf verwiesen, dass gemäß Art. 19 Abs. 1 EuEheVO das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen bis zur Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts auszusetzen habe, wenn bei Gerichten verschiedener europäischer Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung zwischen denselben Personen gestellt worden seien. Dies führe dazu, dass das in Frankreich früher eingeleitete Verfahren auf Ehescheidung das nunmehr in Deutschland angestrebte Scheidungsverfahren blockiere.

Da der beabsichtigte Scheidungsantrag der Antragstellerin derzeit lediglich zu einer Aussetzung des Verfahrens führen würde, erweise sich ihre Rechtsverfolgung als mutwillig, da ein vermögender Beteiligter bei dieser Sachlage - solange der Aussetzungsgrund bestehe - aus Kostengründen davon absehen würde, das Scheidungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen hat.

Die Antragstellerin geht zum einen davon aus, dass vor dem Gericht in Toulouse gar kein Scheidungsverfahren mehr anhängig sei, da das dortige Verfahren durch eine Entscheidung des Familiengerichts Toulouse vom 17.10.2014 mit Sperrwirkung für den Antragsgegner bis Oktober 2016 abgeschlossen worden sei.

Im Übrigen würde - auch bei Fortbestehen der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens bei dem AG Toulouse - überhaupt keine internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte vorliegen, da zum Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrags keiner der Beteiligten einen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich gehabt habe.

Der Antragstellerin sei Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen; danach sei gegebenenfalls das Scheidungsverfahren zunächst auszusetzen, bis das Gericht in Toulouse über seine internationale Zuständigkeit entschieden habe.

II. Die gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der Antragstellerin ist daher Verfahrenskostenhilfe gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 114 ff. ZPO zu bewilligen.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in Ehesachen richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: EuEheVO).

Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a Spiegelstrich 5 EuEheVO sind die deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag der Antragstellerin grundsätzlich international zuständig, da diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Bundesrepublik Deutschland hat, wo sie sich zwischenzeitlich seit mindestens einem Jahr aufgeha...

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