Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Justizvollzugsanstalt gemäß § 58 Abs. 2 JVollzGB III BW Gefangenen den Besitz eines Buches, das den Strafvollzug kritisch darstellt und Ratschläge an Gefangene erteilt, in ihren Hafträumen wegen Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, wegen Gefährdung des Ziels des Strafvollzugs oder wegen eines unverhältnismäßigen Kontrollaufwands auf eine mögliche missbräuchliche Verwendung verbieten kann.

 

Normenkette

JVollzGB III BW § 58 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Entscheidung vom 02.07.2020; Aktenzeichen 1 StVK 331/20)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 2. Juli 2020 mit den Feststellungen

aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer

zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 500 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller befindet sich im geschlossenen Strafvollzug der Antragsgegnerin. In seinem Haftraum besaß er ein Buch mit dem Titel "Wege durch den Knast. Alltag ‒ Krankheit ‒ Rechtsstreit", das vom Assoziation A e. V. verlegt wird. Am 24. April 2020 verfügte die Antragsgegnerin, dass der Besitz dieses Buches im Haftraum des Antragstellers nicht zugelassen werde und der Antragsteller das Buch herauszugeben habe. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, der Besitz des Buches gefährde die Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie die Erreichung des Vollzugsziels. Es weise eine "vollzugsfeindliche Tendenz" auf; nur einzelne Passagen hätten einen reinen Informationscharakter. Es enthalte zahlreiche despektierliche Äußerungen über Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten und schüre pauschale Ressentiments. Ferner bringe es die Gefahr, dass sowohl der Antragsteller als auch Mitgefangene durch das Buch veranlasst würden, sich von der Mitarbeit an Maßnahmen der Resozialisierung abzukehren, eine feindselige Haltung gegenüber dem Vollzug zu entwickeln und das Vollzugsziel dadurch zu gefährden. Sie verwies auf Rechtsprechung, nach der das Verbot des Besitzes des Buches bzw. seiner Vorauflage der rechtlichen Überprüfung in Strafvollzugsverfahren standhielt. Im konkreten Fall des Antragsteller seien keine Gesichtspunkte ersichtlich, die eine andere Bewertung begründen würden. Selbst wenn der Antragsteller das Buch bereits gelesen haben sollte, bestünde weiterhin die Möglichkeit der Weitergabe an andere Gefangene. Am 27. April 2020 kontrollierte ein Bediensteter der Antragsgegnerin den Haftraum des Antragstellers und entnahm das Buch "Wege durch dem Knast", 3. Auflage, dem Haftraum.

Der Antragsteller hat einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ravensburg gestellt. Er hat vorgetragen, er habe das Buch bei dem Verlag bestellt. Es sei Mitte September 2019 eingetroffen. Ein Bediensteter der Antragsgegnerin habe die Sendung in seiner Anwesenheit geöffnet, das Buch kontrolliert, ihm ausgehändigt und in die Liste seiner Privatgegenstände eingetragen. In gleicher Weise habe er vor etwa zweieinhalb Jahren die Vorauflage des Buches bestellt und erhalten. Der Antragsteller ist der Ansicht gewesen, durch den Entzug des in Freiheit allgemein zugänglichen Buches sei er in seinem Grundrecht auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt. In der Justizvollzugsanstalt hätten in der Vergangenheit einige Gefangene das Buch besessen, was den Bediensteten der Antragsgegnerin auch bekannt gewesen sei. Eine Gefährdung sei davon nicht ausgegangen. Der Inhalt des Buches sei weder beleidigend noch vollzugsfeindlich. Da § 94 JVollzGB I die Informationsfreiheit nicht als eingeschränktes Grundrecht nenne, sei das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt und die Antragsgegnerin dürfe auf Grundlage des § 58 Abs. 2 JVollzGB III den Besitz des Buches nicht verbieten. Zuletzt hat der Antragsteller sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm das streitgegenständliche Buch (zum Besitz im Haftraum) zu überlassen.

Die Antragsgegnerin hat sinngemäß beantragt, den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie könne zwar die Vorgänge, wie der Antragsteller das Buch und seine Vorauflage erhalten habe, nicht mehr rekonstruieren. Der Erwerb des Buches sei aber nicht durch eine Verfügung der Vollzugsleitung genehmigt worden, was beim käuflichen Erwerb von Büchern über den pädagogischen Dienst regelmäßig geschehe. Hinsichtlich der inhaltlichen Bewertung des Buches hat die Antragsgegnerin an ihrer Auffassung festgehalten.

Das Landgericht Ravensburg hat den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 2. Juli 2020 zurückgewiesen. Es sei unerheblich, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller, als sie ihm ursprünglich das Buch überlassen hat, eine Erlaubnis zu dessen Besitz erteilt habe, da die vom Antragsteller beanstandete Maßnahme der Antragsgegnerin jedenfalls...

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