Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Kindesentführung: Vollstreckungshindernis für eine Rückführungsanordnung bei instabiler politischer Lage im Vertragsstaat
Leitsatz (redaktionell)
Keine zwangsweise Rückführung von Kindern trotz rechtskräftiger Entscheidung nach dem HKiEntÜ bei schweren politischen Unruhen im Vertragsstaat (hier: Thailand)
Normenkette
IntFamRVG Art. 44; HKiEntÜ Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Aktenzeichen 20 F 1111/08) |
Tenor
I. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Rückführung der Kinder
A. Y. N. B., geb. am 19.9.2003,
S. B. G. B., geb. am 30.9.2004 und
O. E. W. J. B., geb. am 4.1.2007,
nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 wird als unbegründet zurückgewiesen.
II. Die Vollstreckung der Rückführungsanordnung des AG - FamG - Stuttgart (20 F 1111/08) vom 9.10.2008 nach Maßgabe des die Beschwerde zurückweisenden Beschlusses des OLG Stuttgart vom 31.10.2008 (17 UF 234/08) findet nicht statt.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens.
Das Vollstreckungsverfahren ist gebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden insoweit nicht erstattet.
IV. Geschäftswert Wiederaufnahmeverfahren: 3.000 EUR.
Gründe
I. Die Mutter der Kinder ist durch vollstreckbare Rückführungsanordnung des AG- FamG- Stuttgart (20 F 1111/08) vom 9.10.2008 nach Maßgabe des ihre Beschwerde zurückweisenden Beschlusses des OLG Stuttgart (17 UF 234/08) vom 31.10.2008 verpflichtet, die Kinder A. Y. N. B., geb. am 19.9.2003, S. B. G. B., geb. am 30.9.2004 und O. E. W. J. B., geb. am 4.1.2007 dem Vater zum Zwecke der Rückführung der Kinder nach Thailand herauszugeben. Der Beschluss ist rechtskräftig und ohne Vollstreckungsklausel vollstreckbar.
Der Vater begehrt die Vollstreckung und beklagt, dass die Mutter jeglichen Kontakt der Kinder zu ihm seit über 3 Monaten unterbinde. Er wisse nicht, wie es den Kindern gehe. Deutschland sei für die Kinder ein fremdes Land und es sei an der Zeit, dass sie in ihre Heimat zurückkämen. Es bestehe keinerlei Gefahr für sie, da sie in Phuket, einer kleinen, friedlichen Insel in Thailand leben würden.
Die Mutter widersetzt sich der Vollstreckung unter Wiederholung ihrer im Erkenntnisverfahren vorgebrachten Argumente.
Nachdem der Senat über das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland eine Äußerung der Deutschen Botschaft in Thailand zu den derzeitigen politischen Bedingungen erbeten hat, äußerte sich die Botschaft mit Schreiben vom 15.12.2008.
Die Mutter ist der Auffassung, dass dieses Schreiben eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigt, was sie mit Antrag vom 29.12.2008 begehrt. Hilfsweise beantragt sie die weitere Aussetzung der Vollstreckung der Rückführungsentscheidung.
Der Vater begehrt weiterhin die Vollstreckung mit der Begründung, dass es keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Reisen nach Thailand gebe. Die politische Lage habe sich entspannt. Das in Thailand bereits eingeleitete Sorgerechtsverfahren erfordere noch die Bestätigung der ladungsfähigen Anschrift der Mutter durch das Bürgerbüro S., die allerdings wegen einer Auskunftssperre nicht erteilt werde.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
II.1. Der Wiederaufnahmeantrag der Antragsgegnerin ist zulässig.
Ein Wiederaufnahmeverfahren gegen rechtskräftige Verfügungen, wie es in der ZPO vorgesehen ist (§§ 578 ff. ZPO), ist dem Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) unbekannt. In echten Streitverfahren sind nach allgemeiner Meinung die Vorschriften der ZPO über die Wiederaufnahme des Verfahrens jedoch entsprechend anzuwenden (Keidel/Kuntze/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 18 Rz. 69). Hierunter fällt auch ein Rückführungsverfahren, da es den Parteien unbenommen ist, sich zu verständigen oder den das Verfahren einleitenden Antrag zurückzunehmen.
2. Der Wiederaufnahmeantrag ist aber unbegründet.
Die Wiederaufnahmegründe ergeben sich auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus §§ 579, 580 ZPO. Die Antragsgegnerin beruft sich auf das Vorliegen einer Urkunde und meint damit- obwohl sie das nicht ausdrücklich benennt- das Schreiben der Deutschen Botschaft in Bangkok vom 15.12.2008 an das OLG. Zugleich führt sie aber aus, dass die Begutachtung durch die Bundesrepublik Deutschland ihr und den Kindern recht gebe.
Dabei verkennt die Antragsgegnerin, dass es sich bei dem genannten Schriftstück nicht um eine Urkunde i.S.d. § 415 ZPO handelt, was aber für die Anwendung von § 580 Nr. 7b ZPO Voraussetzung wäre. Das Schreiben der Botschaft stellt keine Urkunde im Rechtssinne dar.
Soweit sich die Antragsgegnerin darauf beruft, dass dieses Schreiben eine Begutachtung darstelle, rechtfertigt auch dies die Anwendung des § 580 ZPO nicht. Abgesehen davon, dass § 580 Nr. 7b ZPO nicht analog auf andere Beweismittel anwendbar ist, also auch nicht auf Gutachten mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (Tho-mas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl., § 5...