Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Streitwertfestsetzung für die Gerichtsgebühren nach § 63 Abs. 1 GKG besteht für eine gestaffelte Streitwertfestsetzung nach Verfahrensabschnitten oder Zeiträumen kein Raum.

2. Im Falle einer Klageänderung sind nach § 39 Abs. 1 GKG die Werte wirtschaftlich nicht identischer Streitgegenstände zur Bestimmung des Gebührenstreitwerts auch dann zusammenzurechnen, wenn sie lediglich nacheinander und nicht gleichzeitig nebeneinander geltend gemacht werden; dem Gebührenstreitwert nach § 39 Abs. 1 GKG kommt eine andere Funktion als dem Zuständigkeitsstreitwert nach § 5 ZPO zu, der deshalb auch nicht zur Auslegung des § 39 Abs. 1 GKG herangezogen werden kann.

 

Normenkette

GKG § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 63 Abs. 2; ZPO § 5

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 17.06.2022; Aktenzeichen Sch 11 O 210/20)

 

Tenor

1. Die Streitwertfestsetzung im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17.6.2022, Az. 11 O 210/20 wird dahingehend abgeändert, dass der Streitwert für die 1. Instanz auf 417.214,06 EUR festgesetzt wird.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Das Landgericht hat den Streitwert im Urteil vom 17.6.2022 wie folgt festgesetzt:

bis 13.12.2020 auf 60.000,00 EUR vom 14.12.2020 bis 11.3.2021,

auf EUR 110.000,00 (Klage + Widerklage) vom 12.3.2021 bis 12.4.2022

auf EUR 50.000,00 ab 13.4.2022 auf EUR 170.000,00 (Widerklage + Klagerweiterung).

Der hiergegen gerichteten Streitwertbeschwerde des Klägervertreters, der die Beklagte nicht entgegengetreten ist, hat es nicht abgeholfen (Beschluss vom 24.4.2023).

II. Die Streitwertbeschwerde ist begründet, der Streitwert war auf 417.214,06 EUR abzuändern, was geringfügig über den mit der Streitwertbeschwerde begehrten Betrag hinausgeht.

1. Die Streitwertbeschwerde ist gem. § 68 Abs. 1 GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig - insbesondere ist der Beschwerdewert von 200 EUR (§ 68 Abs. 1 S. 1 GKG) erreicht und die Beschwerdefrist gewahrt. Nach §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG beträgt die Beschwerdefrist 6 Monate; sie beginnt mit dem Eintritt der Rechtskraft oder der anderweitigen Erledigung. Die Erledigung trat erst mit Ablauf des 28.3.2023 ein, da an diesem Tag die im Vergleich vom 14.3.2023 vereinbarte Widerrufsfrist ablief, die Beschwerde ging daher innerhalb der 6-Monatsfrist ein.

Die Beschwerde wurde gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG zulässig vom Klägervertreter im eigenen Namen eingelegt.

2. Die Streitwertbeschwerde ist begründet.

a. Der Streitwert für die Klage war auf 180.000 EUR festzusetzen.

aa. Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung - wie sie das Landgericht im angefochtenen Beschluss ausgesprochen hatte - war mangels eines Antrags nach § 33 RVG nicht erforderlich.

aaa. Nach § 63 Abs. 2 GKG war der Streitwert für die Gerichtsgebühren von Amts wegen mit dem verfahrensabschließenden Urteil festzusetzen, was durch die angegriffene Entscheidung erfolgt ist.

In einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren wird nur eine einheitliche (Verfahrens-)Gebühr erhoben. Ob diese zu einem Satz von 3,0 (Nr. 1210 KV-GKG) oder zu einem ermäßigten Satz von 1,0 (Nr. 1211 KV-GKG) anfällt, ist unerheblich. Maßgeblich für die gesamten in einer Instanz anfallenden Gerichtsgebühren ist der Gesamtwert aller während des Verfahrens anhängig gemachter Gegenstände (§ 39 Abs. 1 GKG). Eine Reduzierung des Streitgegenstands lässt den Streitwert für die Gerichtsgebühren unberührt. Seit Abschaffung der "Beweisgebühr" sowie der "Urteilsgebühr" mit Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2004 führen sie nicht mehr zu einer Reduzierung der anfallenden Gerichtsgebühren, die bis dahin abschnittsweise (Klage, Beweis, Urteil) erhoben wurden. Zwar kommt in der Praxis eine nach bestimmten Verfahrensabschnitten gestaffelte Festsetzung des (Gebühren-)Streitwerts von Amts wegen vor. Eine solche ist vom Gerichtskostengesetz aber weder vorgesehen noch systematisch für die Festsetzung der Gerichtsgebühren erforderlich, da das GKG Teilgebühren nach verschiedenen Werten oder Zeitabschnitten nicht kennt. Für eine gestaffelte Streitwertfestsetzung ist daher kein Raum (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 2 W 4619/21 -, juris Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 13.12.2016 - 15 U 2407/16 -, juris Rn. 16; KG Beschluss vom 02.03.2018 - 26 W 62/17 -, juris Rn. 7; OLG Dresden, Beschluss vom 17. Januar 2019 - 8 W 24/19 -, juris Rn. 10; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 3 ZPO Rn. 8; Jaspersen in: BeckOK, ZPO, 44. Edition, Stand 1.3.2022, § 104 ZPO Rn. 26; Kroiß NJW 2019, 407, 409). Eine solche ist daher nicht erforderlich.

bbb. Zwar kann eine während des Verfahrens eingetretene wertmäßige Änderung des Streitgegenstandes im Hinblick auf die Berechnung der Anwaltsgebühren relevant sein, insbesondere kann der für die Ermittlung der Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) anzusetzende Geschäftswert geringer sein als der Geschäftswert für die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG). Dies rechtfertigt jedoch nicht die Festsetzun...

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