Leitsatz (amtlich)

Ist dem Hauptsacheverfahren ein selbständiges Beweisverfahren und diesem eine außergerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten bei Identität der Personen und des Gegenstands in allen drei Angelegenheiten vorgeschaltet, so hat zunächst gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 5 RVG-VVdie Anrechnung der im selbständigen Beweisverfahren angefallenen Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) des Hauptsacheverfahrens zu erfolgen, wodurch die zuvor entstandene Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens Bestand hat, während die des Hauptsacheverfahrens durch Anrechnung in Wegfall kommt. Erst auf die danach allein verbleibendeVerfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens ist die außergerichtliche Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV anteilig in Anrechnung zu bringen, wodurch die Verfahrensgebühr im Umfang der Anrechnung entfällt und die Geschäftsgebühr unvermindert bestehen bleibt.

 

Normenkette

RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4; RVG-VV Abs. 5 Nr. 23000; RVG-VV Nr. 3100

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Beschluss vom 10.06.2008; Aktenzeichen 5 O 90/07 u. 5 OH 11/05)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des LG Tübingen vom 10.6.2008 - 5 O 90/07, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 928,20 EUR.

 

Gründe

1. Nach vorangegangener außergerichtlicher Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde durch diese am 27.9.2005 ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagten und ein weiteres Mitglied der Erbengemeinschaft beim LG Tübingen eingeleitet (Az. 5 OH 11/05) und unmittelbar nach dessen Abschluss am 2.8.2007 das Klageverfahren (Az. 5 O 90/07).

Nach dessen Beendigung durch Teil-Anerkenntnis- und Teil-Versäumnis-Urteil vom 29.4.2008 unter Auferlegung der Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des selbständigen Beweisverfahrens (Az. 5 OH 11/05) auf die Beklagten beantragte die Klägerin die Kostenfestsetzung in den beiden Verfahren 5 O 90/07 und 5 OH 11/05, die mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.6.2008 unter Kürzungen erfolgte.

Gegen die am 23.6.2008 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 30.6.2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der der Beklagte Ziff. 1 entgegengetreten ist.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass wegen der Anrechnung der außergerichtlichen 0,65-Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im selbständigen Beweisverfahren diese nur i.H.v. 0,65 auf die Verfahrensgebühr des Klageverfahrens angerechnet werden könne, so dass in beiden Verfahren jeweils eine 0,65-Verfahrensgebühr hätte in Ansatz gebracht werden müssen, während die Rechtspflegerin lediglich insgesamt eine 0,65-Verfahrensgebühr berücksichtigt habe. Es sei deshalb eine weitere 0,65-Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren i.H.v. 780 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer von 148,20 EUR, insgesamt 928,20 EUR festzusetzen.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akte mit Beschluss vom 8.7.2008 dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

2. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff. ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG statthaft und auch sonst zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Festsetzung der Rechtspflegerin ist nicht zu beanstanden. Sie hat die Anrechnungsvorschriften in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 und Abs. 5 RVG-VV rechtsfehlerfrei angewendet.

Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Anrechnung wie Identität des Prozessbevollmächtigten, der Parteien und des Streitgegenstands sind vorliegend zu bejahen und auch nicht im Streit.

Zu entscheiden ist, wie die "doppelte" Anrechnung von außergerichtlicher Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG-VV) und Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) des selbständigen Beweisverfahrens in Bezug auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) des Hauptsacheverfahrens nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 und 5 RVG-VV zu erfolgen hat.

Aus der Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 5 RVG-VV ist zu entnehmen, dass bei der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bei Identität der Personen und des Gegenstands die dort entstandene Verfahrensgebühr auf die der Hauptsache anzurechnen ist (OLG Stuttgart/Senat, Beschl. v. 15.7.2008 - 8 W 264/08 und 8 W 265/08; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Anh. III Rz. 26; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, Nr. 3100 RVG-VV Rz. 57; je m.w.N.), und zwar so, dass die zeitlich zuvor entstandene Verfahrensgebühr im selbständigen Beweisverfahren Bestand hat, während die des Hauptsacheverfahrens durch Anrechnung in Wegfall kommt.

Auf die danach allein verbleibende 1,3-Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens ist die außergerichtliche 0,65-Geschäftsgebühr gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV in Anrechnung zu bringen - unabhängig davon, ob sie auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten, unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist ...

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