Leitsatz (amtlich)

Wer Betäubungsmittel besitzt, die erst nach deren Erwerb in die Anlagen zum BtMG aufgenommen wurden, macht sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes strafbar, wenn er zum Zeitpunkt des Besitzes keine Erlaubnis hat. Dagegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes in nicht geringer Menge aus, wenn zum Zeitpunkt des Erwerbs keine Erlaubnispflicht nach § 3 Abs. 1 BtMG bestand.

 

Normenkette

BtMG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 3, § 29a Abs. 1 N.r 2

 

Verfahrensgang

AG Ulm (Entscheidung vom 22.12.2011; Aktenzeichen 1 Ls 22 Js 9090/11)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ulm vom 22. Dezember 2011 im Ausspruch über die Rechtsfolgen mit den dazugehörigen Feststellungen

a u f g e h o b e n.

2. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet

v e r w o r f e n,

dass die Liste der angewandten Vorschriften wie folgt geändert wird:

§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ulm

z u r ü c k v e r w i e s e n.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht Ulm hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. Dezember 2011 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Aus dem Urteil ergibt sich, dass das Amtsgericht die Verurteilung auf § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) gestützt hat. Mit seiner (Sprung-) Revision erhebt der Angeklagte die Sachrüge und die nicht ausgeführte und deshalb nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässige Verfahrensrüge. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision mit der Maßgabe zu verwerfen, dass der Angeklagte eines Vergehens des Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG schuldig ist, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Ulm zurückzuverweisen.

Zum Tatgeschehen stellt das Amtsgericht im Wesentlichen Folgendes fest:

Der Angeklagte, der Chemiker ist und bis heute über keine Genehmigung zum Umgang mit Betäubungsmitteln verfügt, kaufte im Jahr 1973 bei der Firma S. in Hamburg 10 Gramm Cathin (D-Norpseudoephedrin) und 100 Gramm Nitrazepam jeweils in Pulverform. Nach seinem Umzug nach U. nahm er beide Substanzen an seinen Arbeitsplatz bei der Universität U. mit und verwahrte sie dort in einem Schränkchen. Im Dezember 2009 wurde der Angeklagte von seinem Vorgesetzten angewiesen, sämtliche Chemikalien in dem Schränkchen zu entsorgen. Dabei wurde der Angeklagte auf die beiden Plastikdöschen mit noch 99,95 Gramm an reinem Nitrazepam sowie 7,595 Gramm an reinem Cathin aufmerksam. Er fand es zu schade, die beiden Substanzen wegzuwerfen und bewahrte sie fortan in seiner Wohnung in U. auf, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, dass beide Substanzen dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Dort wurden sie am 2. April 2011 bei der polizeilichen Durchsuchung der Wohnung aus anderem Grund sichergestellt. In Dosierung und Wirkung ist Nitrazepam den Benzodiazepinen vergleichbar, bei denen ab 2,4 Gramm des Wirkstoffs eine nicht geringe Betäubungsmittelmenge vorliegt.

II. Die zulässige Revision hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Sachrüge des Angeklagten hat zum Schuldspruch Erfolg, weil die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen seine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht tragen.

Nach dieser Vorschrift macht sich nur derjenige strafbar, der Betäubungsmittel besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 BtMG erlangt zu haben. Hieran fehlt es.

Das in der Medizin zur Behandlung von Schlafstörungen verwendete Nitrazepam wurde durch die 2. BtMÄndVO (BGBl I 1986, 1099) vom 23. Juli 1986 mit Wirkung vom 1. August 1986 in die Anlage III zum BtMG aufgenommen. Bei Cathin (B-Norpseudoephedrin) handelt es sich um den Wirkstoff der in Afrika heimischen Kath-Pflanze. Cathin wurde durch die 3. BtMÄndVO (BGBl I 1991, 712) vom 28. Februar 1991 mit Wirkung vom 15. April 1991 in die Anlage III zum BtMG eingefügt. Somit wurden die Substanzen, als der Angeklagte sie im Jahr 1973 erwarb, noch nicht vom Betäubungsmittelgesetz vom 22. Dezember 1971 erfasst.

Die Nennung der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BtMG im Straftatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG stellt eine Rechtsgrundverweisung dar. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BtMG müssen deshalb ebenfalls vorliegen. Zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte die Stoffe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erwerben wollte, waren sie aber keine Betäubungsmittel, weil sie in den Anlagen zum BtMG nicht aufgeführt waren, so dass § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nic...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge