Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verzugswirkung der Rechtwahrungsanzeige eines Trägers von Sozialleistungen, auf den ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht übergegangen ist. fingiertes Einkommen einer weiblichen ungelernten Arbeitsuchenden mit mangelhaften Deutschkenntnissen
Leitsatz (amtlich)
Die Rechtswahrungsanzeige eines Trägers von Sozialleistungen, auf welchen ein bürgerlich rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht übergegangen ist, begründet keine Verzugswirkungen zugunsten des Unterhaltsgläubigers. Bei weiblichen ungelernten Arbeitssuchenden mit mangelhaften Kenntnissen der deutschen Sprache, die sich nicht ausreichend um die Erlangung einer Arbeitsstelle bemühen, kommt eine höhere Fingierung als mit einem Bruttoeinkommen von 7 EUR/Stunde in der Regel nicht in Betracht.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1, § 1613; BSHG § 91 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz wird zurückgewiesen.
Der Kläger erhält Gelegenheit, zur beabsichtigten Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss bis zum 9.10.2006 Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der am 0.00.1996 geborene Kläger ist das eheliche Kind seines gesetzlichen Vertreters K. A. und der Beklagten, die seit spätestens Dezember 2003 voneinander getrennt leben und durch Urteil vom 9.3.2005, rechtskräftig seit 19.4.2005, geschieden sind.
Im streitgegenständichen Zeitraum ab Dezember 2003 bezogen beide Eltern zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG und seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 12.12.2003 übersandte das Sozialamt der Stadt Stuttgart der Beklagten eine Rechtswahrungsanzeige, mit Schreiben vom 29.6.2005 forderte der Kläger die Beklagte zur Bezahlung von Kindesunterhalt auf.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Bezahlung von Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrages ab Dezember 2003 in Anspruch.
Die Beklagte beruft sich auf Leistungsunfähigkeit.
Das FamG hat die Klage wegen Leistungsunfähigkeit abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagbegehren weiter und beantragt Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz.
II. Der zulässige Antrag des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger, der bei seinem Vater wohnt, hat gegen die Beklagte grundsätzlich einen Anspruch auf Bezahlung von Kindesunterhalt gem. § 1601 BGB.
Sein Bedarf bemisst sich auch mindestens in Höhe des Regelbetrages von monatlich 241 EUR in der Zeit von Dezember 2003 bis Juni 2005 und von 247 EUR ab Juli 2005.
Das FamG ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte auch unter Berücksichtigung ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Deckung dieses Bedarfs nicht leistungsfähig ist.
Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten wird nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erreichen könnte. Gegenüber dem minderjährigen Kind obliegt der Beklagten gem. § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit und somit eine gesteigerte Ausnutzung ihrer Arbeitskraft, die es ihr ermöglicht, zumindest den Regelbetrag zu bezahlen. Sie muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in ihrer eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen. Insbesondere muss sie darlegen und nachweisen, dass sie sich umfangreich auf jede ausgeschriebene bzw. offene Arbeitsstelle bewirbt, die ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten entspricht und die ihr zugänglich ist.
Die Beklagte hat bislang weder behauptet, noch gar dargelegt, dass sie dieser Obliegenheit auch nur annähernd nachgekommen ist, da es hierfür zumindest notwendig gewesen wäre, sich auf etwa 20 Arbeitsstellen im Monat zu bewerben, was für den Zeitraum von Januar 2004 bis Mitte 2006 ein Volumen von etwa 600 Bewerbungen bedeuten würde.
Wegen Verstoßes gegen diese Obliegenheit, sich nachhaltig und ernsthaft um eine Arbeitsstelle zu bemühen, ist das FamG zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte mit einem Erwerbseinkommen zu fingieren ist, wobei die Annahme, dass es der Beklagten allenfalls möglich gewesen wäre, einen Bruttoarbeitslohn von 7 EUR pro Stunde zu erzielen, nicht zu beanstanden ist und auch der Einschätzung des Senats in vergleichbaren Fällen unter besonderer Berücksichtigung des - sicherlich privilegierten - Arbeitsmarktes im Großraum Stuttgart entspricht. Der Senat geht davon aus, dass bei einer Arbeitsplatzsuche außerhalb des Großraumes Stuttgart eher ein geringeres Einkommen erzielbar wäre.
Bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit errechnet sich daraus das folgende - fiktive - Einkommen auf Seiten der Beklagten:
176 Arbeitsstunden × 7 EUR = brutto 1.232 EUR
./. Rentenversicherung 120,12 EUR
./. Arbeitslosenversicherung 40,04 EUR
./. Krankenversicherung 96,71 EUR
./. Pflegeversicherung 10,47 EUR
./. Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0,5 55,66 EUR
./. Kirche...