Leitsatz (amtlich)
Im selbständigen Beweisverfahren wird der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn eine angemessene Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Gerichtsgutachten abgelehnt und das selbständige Beweisverfahren für beendet erklärt wird, obwohl die Partei sich zum gerichtlichen Sachverständigengutachten mangels eigener Sachkenntnis nicht äußern kann, sondern sich die erforderliche Sachkenntnis zur Fragestellung und zum Vorbringen von Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten zeitnah durch ein Privatgutachten verschaffen möchte.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 485, 492 Abs. 1, § 411 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 25.03.2009; Aktenzeichen 2 OH 15/06) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird Ziff. I des Beschlusses der 2. Zivilkammer des LG Tübingen vom 25.3.2009, Aktenzeichen 2 OH 15/06, aufgehoben.
2. Die Antragsgegner tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 9.416 EUR.
Gründe
I. In dem selbständigen Beweisverfahren hat der Sachverständige auf gerichtliche Aufforderung zum Schriftsatz des Antragsteller-Vertreters vom 30.1.2009 mit Schreiben vom 20.2.2009 ergänzend zu seinen bisherigen gutachterlichen Äußerungen Stellung genommen. Mit Verfügung vom 23.2.2009 räumte das LG den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme dazu bis zum 20.3.2009 ein und wies auf § 411 Abs. 4 ZPO hin.
Mit Schriftsatz vom 19.3.2009, beim LG Tübingen eingegangen am 20.3.2009, forderte der Antragsteller einen weiteren Ortstermin des Sachverständigen und bat um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis zum 30.4.2009, weil er ein weiteres Gutachten zur Klärung der Rissbildung im Estrich in Auftrag gegeben habe.
Mit Beschluss vom 25.3.2009 stellte das LG unter Ziff. I fest, dass das selbständige Beweisverfahren beendet sei und der Antragsteller seine Einwände, die er offenbar erst durch das von ihm in Auftrag gegebene Gegengutachten spezifizieren könne, in den Hauptprozess einbringen möge. Neben einer Streitwertfestsetzung unter Ziff. II des Beschlusses wurde dem Antragsteller unter Ziff. III dieses Beschlusses eine Frist zur Erhebung der Klage in der Hauptsache bis zum 20.5.2009 gesetzt.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 2.4.2009 sofortige Beschwerde eingelegt, soweit der Antrag des Antragstellers vom 19.3.2009 auf Verlängerung der Stellungnahmefrist zurückgewiesen und das Verfahren für beendet erklärt wurde. Das LG habe übersehen, dass eine Fortsetzung der Beweiserhebung durch das Prozessgericht nur in ganz speziellen Ausnahmefällen in Betracht komme, von denen hier keiner vorliege. Der Antragsteller laufe daher Gefahr, dass das Prozessgericht eine Fortsetzung der Beweisaufnahme ablehne.
Zum gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten verweist der Antragsteller auf die der Beschwerdebegründung beigefügte Stellungnahme des Freien Architekten und Bausachverständigen K., wonach der Estrich aufgrund der Nichteinhaltung der DIN, insbesondere der zu großen Unterschiede in der Estrichdicke und durch die zu grobkörnigen Zuschlagstoffe, gebrochen sei.
Mit Beschluss vom 6.4.2009 hat das LG Tübingen erklärt, der sofortigen Beschwerde des Antragstellers nicht abzuhelfen, und hat die Akten dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom 19.5.2009 hat der Einzelrichter das Verfahren gem. § 568 S. 2 ZPO dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist statthaft, zulässig und in der Sache begründet.
1. Gegen die Feststellung, dass das selbständige Beweisverfahren beendet ist, und gegen die Zurückweisung von Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten gem. §§ 411 Abs. 4 S. 2, 296 Abs. 1, 4 ZPO ist gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft.
Die sofortige Beschwerde wurde in zulässiger Weise, insbesondere fristgerecht eingelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Hinweis auf § 411 Abs. 4 ZPO in der Verfügung des Einzelrichters des LG Tübingen vom 23.2.2009 den Anforderungen der Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW-RR 2006, 428, juris Rz. 8) genügte.
a) Wurde die Ausschlussfrist für Einwendungen gegen die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen gem. § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO wirksam gesetzt, wäre der Antragsteller mit Einwendungen gegen das Gutachten nicht nur im selbständigen Beweisverfahren, sondern grundsätzlich gem. §§ 493 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO auch im Hauptsacheverfahren ausgeschlossen. Das LG Tübingen hat in Ziff. I des Beschlusses vom 25.3.2009 die zumindest beabsichtigte Rechtswirkung seiner eigenen Fristsetzung vom 23.2.2009 verkannt, indem es den Antragsteller mit seinen Einwendungen auf den Hauptprozess verwiesen hat.
Angesichts der gravierenden Auswirkungen einer wirksamen Fristsetzung nach § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO wird der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ver...