Leitsatz (amtlich)
1. Den Insolvenzverwalter einer Aktiengesellschaft trifft in einem gegen ein Aufsichtsratsmitglied nach §§ 116, 93 AktG geführten Schadensersatzprozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gesellschaft durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds in dessen Pflichtenkreis ein Schaden entstanden ist. Das Aufsichtsratsmitglied hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass es seinen Sorgfaltspflichten genügt hat oder es kein Verschulden trifft oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.
2. Die laufende Überwachung des Vorstands in allen Einzelheiten ist von dem Aufsichtsrat grundsätzlich nicht zu erwarten. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Aufsichtsrats, einzelne Geschäftsvorfälle, Zahlungseingänge und Buchhaltungsunterlagen zu überprüfen. In Krisenzeiten sowie bei Anhaltspunkten für eine Verletzung der Geschäftsführungspflichten und inbesondere bei Hinweisen auf existenzgefährdende Geschäftsführungsmaßnahmen ist eine intensivere Überwachungstätigkeit erforderlich. Auch bei einer neu gegründeten Gesellschaft können die Anforderungen an die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats gesteigert sein.
3. Der Schaden bei einem Anspruch aus §§ 116, 93 AktG ist nach §§ 249 ff. BGB im Wege der Differenzhypothese zu berechnen. Es ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde.
Normenkette
AktG §§ 116, 93
Verfahrensgang
LG Tübingen (Beschluss vom 19.03.2012; Aktenzeichen 5 O 17/11) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 5.4.2012 gegen den Beschluss des LG Tübingen vom 19.3.2012 (Az. 5 O 17/11) wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 5.4.2012 (Bl. 303) gegen den Beschluss des LG Tübingen vom 19.3.2012 - 5 O 17/11, (Bl. 295), mit dem sein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 21.12.2010 zurückgewiesen wurde.
Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter der S AG (i. F. Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen auf Antrag vom 26.8.2008 am 11.11.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Antragsgegner waren Aufsichtsräte der Insolvenzschuldnerin. Der Antragsgegner Ziff. 2 legte sein Amt am 15.6.2008 nieder, der Antragsgegner Ziff. 1 am 19.8.2008 und die Antragsgegnerin Ziff. 3 am 14.8.2008.
Die Insolvenzschuldnerin wurde mit notarieller Urkunde vom 13.11.2007 von H. S. mit einem Grundkapital von 100.000 EUR gegründet (K 2, Bl. 38). Alleiniger Aktionär ist H. S.. H. S. war Vorstand der Insolvenzschuldnerin, bis 16.1.2008 zusammen mit K. Z., anschließend alleine. Die Antragsgegner wurden zum Aufsichtsrat bestellt. Die Antragsgegner 1 und 3 sind die Kinder des Vorstands, der Antragsgegner 2 war als Polier bei der Insolvenzschuldnerin angestellt und als Arbeitnehmer-Aufsichtsrat bestellt. Die Insolvenzschuldnerin wurde am 31.1.2008 in das Handelsregister eingetragen und nahm ab diesem Zeitpunkt ihre Geschäfte auf.
Der Vorstand S. betrieb unter der Firma H. S. B. e. K. (i. F. S B) ein einzelkaufmännisches Bauunternehmen und wollte dieses in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft überführen, weshalb er die Insolvenzschuldnerin gründete. Die S B wurde auch nach Gründung der Insolvenzschuldnerin weiter betrieben bis zur Insolvenz des Vorstands S. Ende 2008.
Bereits mit Antrag vom 1.7.2009 (Beiakte LG Tübingen, 5 O 132/09, Bl. 1) hatte der Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage gegen die Antragsgegner beantragt. Der Antrag war von dem LG Tübingen durch Beschluss vom 29.10.2009 (Beiakte Bl. 430) zurückgewiesen worden.
Der Antragsteller begehrt nunmehr erneut Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegner wegen Verletzung ihrer Pflichten als Aufsichtsräte. Er hält den erneuten Antrag für zulässig, da neue tatsächliche Gesichtspunkte vorgetragen würden.
Mit der Klage soll nach dem vorgelegten Klagentwurf (K 8, nach Bl. 321) die Verurteilung der Antragsgegner als Gesamtschuldner zur Zahlung von 73.532,16 EUR erreicht werden. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Antragsgegner in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsräte pflichtwidrig weder die Schadenszufügung durch den Vorstand der Insolvenzschuldnerin verhinderten noch die bereits entstandenen Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand verfolgten.
Der Antragsteller trägt vor, die Insolvenzschuldnerin habe bis auf das Grundkapital kein eigenes Vermögen gehabt. Sie habe ab Ende Januar 2008 das gesamte Anlagevermögen sowie die von der S B geleasten Fahrzeuge gemietet. Die S B habe die vermieteten Ausrüstungsgegenstände und Fahrzeuge ohne Entschädigung ebenfalls vollumfänglich genutzt, obwohl dies in den Mietverträgen nicht vorgesehen gewesen sei. Zudem seien die vereinbarten Mietpreise weit überhöht gewesen. Von diesen Umständen hätten die Antragsteller bereits Ende Januar 2008 Kenntnis gehabt.
Obwohl die Insolvenzschuldnerin über keine eigenen Aufträge verfügt habe, habe sie Ende Januar 2008 auch sämtliche ursprünglich bei der S B an...