Leitsatz (amtlich)
Hat der bestellte Verteidiger an einem ganztägigen Hauptverhandlungstag weniger als eine Stunde lang teilgenommen, kann die Terminsgebühr für diesen Tag von der Pauschgebühr abgezogen werden, wenn der Verteidiger dadurch bereits selbst für seine finanzielle Entlastung gesorgt und damit das Ausmaß der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren verringert hat.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 2 KLs 50 Js 54399/09) |
Tenor
Dem gerichtlich bestellten Verteidiger,
wird auf seinen Antrag und nach Anhörung der Vertreterin der Staatskasse für die Verteidigung des Angeklagten im vorbereitenden und im gerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart eine Pauschgebühr in Höhe von
108.888 Euro
(in Worten: einhundertundachttausendachthundertundachtundachtzig Euro)
bewilligt.
Die Pauschgebühr tritt an die Stelle folgender Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis:
VV Nrn. 4101, 4103, 4105, 4119, 4121-4123 RVG in der Fassung bis zum 31. Juli 2013.
Die Ansprüche des Verteidigers auf Erstattung von Auslagen und Umsatzsteuer bleiben unberührt. Festgesetzte oder schon ausbezahlte Gebühren sind anzurechnen.
Der darüber hinausgehende Antrag des Verteidigers wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde dem Angeklagten durch Verfügung des Amtsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2009 nach § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO als Verteidiger bestellt. Das gerichtliche Verfahren in der Jugendkammersache, die nach den allgemeinen Vorschriften zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehört hätte, richtete sich gegen 21 Angeklagte. Die Hauptverhandlung fand an 196 Tagen statt. Der Angeklagte wurde durch Urteil der Jugendkammer u.a. wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung zu der Jugendstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt, im Adhäsionsverfahren erging gegen ihn ein gesamtschuldnerisches Zahlungsurteil über 108.500 Euro zugunsten der Geschädigten, ein Feststellungsurteil betreffend die Ersatzpflicht für künftige Schäden und die Verurteilung zu einer gesamtschuldnerischen monatlichen Rentenzahlungsverpflichtung über 120 Euro an einen Geschädigten. Der gesetzliche Gebührenanspruch des Verteidigers beläuft sich nach der Berechnung der Vertreterin der Staatskasse in ihrer Stellungnahme vom 31. März 2014 im vorliegenden Verfahren, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, auf 107.838 Euro netto ohne Auslagen.
Der Verteidiger beantragt,
ihm eine Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zu gewähren.
Die Vorsitzende der Strafkammer und die Vertreterin der Staatskasse sind dem Antrag entgegengetreten und regen an, ihn abzulehnen.
II.
Auf den Antrag des Verteidigers setzt der Senat nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschgebühr in Höhe von 108.888 Euro fest, die sich aus den gesetzlichen Gebühren in Höhe von 107.838 Euro und einem Erhöhungsbetrag von 1.050 Euro zusammensetzt. Der darüber hinausgehende Antrag des Verteidigers wird abgelehnt.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt in Strafsachen auf Antrag für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 - 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Im vorliegenden Fall wird die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren in Höhe von 107.838 Euro für den Verteidiger durch einen Aufschlag für seine Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren vor dem Beginn der Hauptverhandlung von zehn zusätzlichen Verfahrensgebühren VV Nr. 4119 RVG in der Fassung bis zum 31. Juli 2013 (im Folgenden: VV Nr. ... RVG) beseitigt. Von diesem Erhöhungsbetrag zieht der Senat die Hauptverhandlungsgebühren für die Tage ab, an denen der Verteidiger weniger als eine Stunde lang an einer im Wesentlichen ganztägigen Hauptverhandlung teilgenommen hat, sowie diejenigen für einen weiteren, vergleichbaren Sitzungstag. Der Erhöhungsbetrag für den Antragsteller beläuft sich danach auf 1.050 Euro.
Es handelt sich um ein besonders umfangreiches Verfahren im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Der Aktenumfang war mit 63 Stehordnern an Ermittlungsakten erheblich, auch wenn 36 Stehordner hiervon auf Personenordner für einzelne Angeklagte entfielen, von denen der Verteidiger im Wesentlichen nur die seinen Mandanten betreffenden Ordner im Detail zu sichten hatte. Belegt ist der Verfahrensumfang auch durch den Umstand, dass das gerichtliche Verfahren gegen 21 Angeklagte geführt wurde und in der Hauptverhandlung 72 Zeugen vernommen und mehrere Sachverständige gehört wurden.
Weiter wies das Verfahren besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG bei der Vorbereitung des Verteidigers auf die Hauptverhandlung auf. Zwar wurde eine einzelne Tat verhandelt, an der sich beteiligt zu haben dem Angeklagten vorgeworfen wird. Gleichwohl waren mit ihrer gerichtlichen Aufklärung in einer Gesamtbetrachtung bes...