Leitsatz (amtlich)
1. § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO findet in seiner aktuellen Fassung auch auf vor Inkrafttreten der Neuregelung dieser Vorschrift angeordnete Einziehungen des Wertes von Taterträgen Anwendung. Der Meistbegünstigungsgrundsatz aus § 2 Abs. 3 StGB ist auf § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nicht anzuwenden (entgegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 1 Ws 122/22, juris sowie Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. September 2022 - 1 Ws 118/21, juris).
2. Die Vollstreckung der Einziehung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist nur dann unverhältnismäßig im Sinne dieser Vorschrift, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer mit der Vollstreckung der Einziehung eine außerhalb des Einziehungszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Einziehung nicht zugemutet werden kann. Hierfür ist nicht ausreichend, dass das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist.
3. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist es ausgeschlossen, etwaige Reinvestitionen des erlangten Geldes zu berücksichtigen. Dies wäre eine unzulässige Aushebelung des für das Erkenntnisverfahren gemäß § 73d Abs. 1 StGB angeordneten Bruttoprinzips, das einen derartigen Abzug grundsätzlich ausschließt.
Normenkette
StPO § 459g Abs. 5 S. 1; StGB § 2 Abs. 3, §§ 73c, 73d Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 20.10.2022; Aktenzeichen 11 AR 2/22) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - 11. Große Strafkammer - Stuttgart vom 20. Oktober 2022 wird als unbegründet
verworfen.
Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
Der Verurteilte wendet sich gegen einen Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 2022, mit dem die Fortsetzung der Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. Juli 2017 angeordneten Einziehung von Wertersatz gegen den Verurteilten in Höhe von 444.069,70 Euro angeordnet worden ist.
Mit Urteil vom 6. Juli 2017, rechtskräftig seit 21. Juli 2017, verurteilte das Landgericht Stuttgart den Beschwerdeführer wegen Betruges in acht Fällen, Untreue in drei Fällen und Marktmanipulation in 153 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und setzte die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Zugleich ordnete es gegen den Verurteilten die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 444.069,70 Euro an. Derzeit besteht noch ein offener Einziehungsbetrag in Höhe von 403.576,84 Euro.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Verurteilte mit seiner Firma verschiedene Unternehmen an die Börse brachte und durch abgesprochene Geschäfte und Wash Sales über unterschiedliche Firmen- und Privatdepots auf deren Aktienkurse einwirkte, um einen gewünschten Kurs zu erhalten. So kam es im Zeitraum vom 20. Februar bis 31. Juli 2009 zu 153 abgesprochenen und ausgeführten Ordererteilungen durch den Verurteilten. Zudem erwarb der Verurteilte mit dem von Anlegern einer Immobiliengesellschaft, deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer er war, zum Zweck der Investition in Immobilien in diese Immobiliengesellschaft investierten Geld entgegen des Geschäftszwecks der Gesellschaft am 16. und 23. September 2009 in zwei Fällen ebenfalls Aktien und gewährte sich aus dem Vermögen dieser Gesellschaft ein ungesichertes Darlehen, ebenfalls entgegen des Geschäftszwecks der Gesellschaft. Weiterhin erwarben im Zeitraum vom 25. September 2009 bis 3. Februar 2010 acht Anleger Genussrechtsscheine dieser Immobiliengesellschaft, obwohl der Verurteilte wusste, dass aufgrund der vorherigen Aktienkäufe und der Darlehensauszahlung kein Geld zur Finanzierung einer Immobilie mehr in der Firma vorhanden war.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Sachverhalt des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 6. Juli 2017 verwiesen.
Bei seiner Einziehungsentscheidung legte das Landgericht Stuttgart die durch die Verkäufe von Aktien über sein Privatdepot erzielten Verkaufserlöse zugrunde. Das Landgericht Stuttgart stellte hierbei fest, dass der Verurteilte durch die Verkäufe von Aktien über sein Privatdepot insgesamt 276.047,70 Euro an Verkaufserlösen erhalten hat, die in seinem Vermögen verblieben. Weiter stellte das Landgericht Stuttgart fest, dass der Verurteilte durch Kauforders insgesamt 480 Aktien der Enexoma AG zu einem Gesamtkaufpreis von 116.280 Euro, 300 Aktien der Grossby/Hulbee AG zu einem Kaufpreis von 1.440 Euro und 4.282 Aktien der Vitascanning AG zu einem Gesamtkaufpreis von 50.302 Euro erhielt.
Am 22. Mai 2022 forderte die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Verurteilten zur Zahlung des noch offenen Einziehungsbetrages von 403.576,84 Euro auf.
Am 29. Juni 2022 beantragte der Verurteilte, das Unterbleiben der Vollstreckung des Einziehungsbetrages anzuordnen. Für die Entscheidung sei die bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StP...