Leitsatz (amtlich)
Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4124 VV RVG entsteht grundsätzlich nicht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung wieder zurückgenommen hat.
Normenkette
RVG-VV Nr. 4124
Verfahrensgang
AG Waiblingen (Aktenzeichen 4 Ls 221 Js 111970/19) |
LG Stuttgart (Entscheidung vom 01.12.2020; Aktenzeichen 20 Qs 19/20) |
Tenor
- Auf die weitere Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Landgerichts - 20. Große Strafkammer - Stuttgart vom 01. Dezember 2020 aufgehoben.
- Der Kostenantrag des Verteidigers vom 18. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
- Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Am 11. November 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Waiblingen Anklage gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Amtsgericht ordnete dem Angeklagten mit Beschluss vom 17. Dezember 2019 Rechtsanwalt K. als Pflichtverteidiger bei. Am 16. März 2020 verurteilte das Amtsgericht - Schöffengericht - Waiblingen den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart am 18. März 2020 zuungunsten des Angeklagten Berufung ein, ohne diese zu begründen. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils nahm die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihre Berufung mit Schreiben vom 08. Mai 2020 zurück. Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 legte das Amtsgericht Waiblingen die Kosten der Berufung und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf. Den Antrag des Verteidigers, seine Pflichtverteidigervergütung für das Berufungsverfahren festzusetzen, wies der Rechtspfleger des Amtsgerichts zurück. Auf die Erinnerung des Verteidigers hob das Amtsgericht Waiblingen mit Beschluss vom 08. Oktober 2020 die vorhergehende Entscheidung auf und setzte die Pflichtverteidigervergütung auf insgesamt 328,44 € für das Berufungsverfahren nach Nr. 4124 VV RVG nebst Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG und Mehrwertsteuer fest. Die Beschwerde der Staatskasse vom 26. Oktober 2020 verwarf das Landgericht - 20. Große Strafkammer - Stuttgart mit Beschluss vom 01. Dezember 2020 als unbegründet. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat die Kammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern entschieden und die weitere Beschwerde gegen die zurückweisende Beschwerdeentscheidung zugelassen. Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart ist der Beschwerdeführerin nicht förmlich zugestellt worden. Am 14. Dezember 2020 legte die Bezirksrevisorin im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart für die Staatskasse weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart ein. Das Landgericht legte die Akten daraufhin dem Senat zur Entscheidung vor.
Dem Verteidiger wurde die Beschwerdeschrift zur Kenntnis gebracht und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
1. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern, weil der Einzelrichter des Landgerichts die Sache gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG auf die Kammer übertragen hat.
3. Die weitere Beschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Landgericht als Beschwerdegericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1 Hs 2, 33 Abs. 6 S. 1 RVG statthaft und auch im übrigen zulässig. Gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1 Hs 2, 33 Abs. 6 S. 4, Abs. 3 S. 3 RVG ist die weitere Beschwerde innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen. Die bloß formlose Mitteilung des Beschlusses an die Bezirksrevisorin hat die Frist gem. § 35 Abs. 2 StPO nicht in Lauf gesetzt, so dass die weitere Beschwerde rechtzeitig eingelegt wurde. Die Voraussetzung der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 2 RVG ist ebenfalls gegeben.
3. Die weitere Beschwerde der Staatskasse hat auch in der Sache Erfolg. Dem Pflichtverteidiger steht für seine vorliegende Tätigkeit im Berufungsverfahren keine Vergütung aus der Landeskasse zu, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Antrag des Verteidigers zurückzuweisen ist.
Erstattungsfähig ist eine Gebühr auch im Verfahren nach § 55 RVG nur dann, wenn die erbrachte Tätigkeit des Verteidigers zur Rechtsverfolgung notwendig war.
Eine Prüfung der Notwendigkeit ist gem. § 46 RVG ausdrücklich nur für Auslagen und sonstige Aufwendungen des Pflichtverteidigers vorgesehen. Aus dem Rechtsgedanken des § 52 Abs. 1 S. 2 RVG folgt jedoch, dass ein Pflichtverteidiger nicht besser gestellt werden darf als er stünde, wenn ihn der Angeklagte als Wahlverteidiger beauftragt hätte. Denn in diesem Falle würde die Staatskasse bei einer Entscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO oder § 473 Abs. 2 StPO nur die durch die notwendige Verteidigung entstandenen gesetzlichen Wahlverteidigergebühren ersetzen, § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 ...