Leitsatz (amtlich)
1. Erhebt der Verurteilte Einwendungen gegen den auf der Grundlage von § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO erlassenen Vollstreckungshaftbefehl, kann sein Antrag dahingehend auszulegen sein, dass damit auch die ablehnende Entscheidung, die Nachholung der Vollstreckung auszusetzen, überprüft werden soll. Das Verfahren richtet sich dann nach § 458 Abs. 2 StPO; der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG ist insoweit ausgeschlossen.
2. Einem Antrag des Verurteilten auf Aussetzung dieser Maßnahmen ist grundsätzlich zu entsprechen, wenn er nach Deutschland einreisen will, um eine Untersuchung nach § 454 Abs. 2 StPO zu ermöglichen.
Normenkette
StPO § 456a Abs. 2 S. 3, § 458 Abs. 2; StVollstrO § 21; EGGVG § 23 ff.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 13.10.2010; Aktenzeichen 11 StVK 73/10) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 13. Oktober 2010 und die Verfügung der Staatsanwaltschaft Tübingen vom 12. Juli 2010
a u f g e h o b e n .
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Tübingen
z u r ü c k g e g e b e n .
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.
Gründe
I. Durch Urteil des Landgerichts Tübingen vom 27. Februar 2002 (1 KLs 42 Js 7745/01) wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, die er zur Hälfte verbüßte. Von der weiteren Vollstreckung sah die Staatsanwaltschaft Tübingen mit Bescheid vom 13. November 2002 gem. § 456 a StPO ab und ordnete die Nachholung der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO für den Fall der Wiedereinreise des Verurteilten an. Am 25. November 2003 wurde der Verurteilte aus der Strafhaft entlassen und nach ..... abgeschoben. Am 02. Dezember 2003 erließ die Staatsanwaltschaft einen Vollstreckungshaftbefehl gem. § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO. Das Regierungspräsidium ..... befristete die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung am 26. Januar 2004 auf sechs Jahre ab dem Ausreisezeitpunkt, demnach bis 24. November 2009, unter den Voraussetzungen, dass der Verurteilte die Abschiebungskosten bezahlt, einen Nachweis über seine Drogenfreiheit und ein Führungszeugnis beibringt.
Die Strafvollstreckungskammer ordnete mit Beschluss vom 09. Juni 2010 gem. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO die Einholung eines psychiatrischen und psychologischen Gutachtens an. Hierauf beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 09. Juli 2010 unter Vorlage eines Auszugs aus dem Strafregister des Innenministeriums der Republik ....., einer Bestätigung über die Ausübung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit und der Ankündigung einer Teilzahlung bezüglich der Abschiebungskosten die Aussetzung der Vollstreckung des Haftbefehls für die Dauer der Exploration. Mit Verfügung vom 12. Juli 2010 lehnte die Strafvollstreckungsbehörde diesen Antrag ab. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Einwendungen. Die Vollstreckungsbehörde sah hierin eine Beschwerde nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO und legte die Sache der Generalstaatsanwaltschaft vor. Diese gab die Akten an die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis zurück, dass der Rechtsweg nach §§ 21 StVollstrO, 23 ff. EGGVG nicht gegeben sei. Der Antrag sei dahingehend auszulegen, dass sich der Verurteilte gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde wende, auch für die Dauer der Exploration durch den Sachverständigen und die mündliche Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer nicht von der bereits angeordneten Nachholung der Strafvollstreckung abzusehen. Deshalb sei die Strafvollstreckungskammer gem. §§ 458 Abs. 2, 462, 462 a StPO zuständig. Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 13. Oktober 2010 die Einwendungen des Verurteilten gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Tübingen als unbegründet zurückgewiesen.
II. 1. Die hiergegen vom Verurteilten erhobene sofortige Beschwerde ist zulässig.
a) Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft können nach §§ 458 Abs. 2, 462 StPO Einwendungen erhoben werden, über die die Strafvollstreckungskammer entscheidet (§ 462 a StPO Abs. 1 Satz 1 StPO). Dem steht nicht entgegen, dass gegen den Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls nach § 457 Abs. 2 StPO Beschwerde nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO erhoben werden kann und danach der Rechtsweg nach § 23 ff. EGGVG eröffnet ist (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1989, 1016; Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 457 Rn. 16).
Zwar hat die Vollstreckungsbehörde vorliegend "nur" über die zeitlich befristete Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls entschieden. Jedoch hat sie den Vollstreckungshaftbefehl auf der Grundlage des § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO erlassen. Er beruht auf der Anordnung der Nachholung der Vollstreckung für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers ins Inland (die für die Wirksamkeit erforderliche Belehrung gem. § 456 a Abs. 2 Satz 4 StPO wurde erteilt)...