Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei Einbeziehung des § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B in einen Werkvertrag ist der Auftragnehmer (Mit-)Besitzer der von ihm auf die Baustelle eingebrachten, noch nicht eingebauten Baumaterialien.
2. Ist glaubhaft gemacht, dass ein possessorischer Besitzschutzanspruch dazu benutzt wird, bei einem schuldrechtlichen Übernahmeanspruch des Auftraggebers aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B durch eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe des Baumaterials überhöhte Übernahme-Preise durchzusetzen, ist es für den Auftraggeber unzumutbar, den possessorischen Anspruch zu erfüllen, und der Antrag auf einstweilige Verfügung abzuweisen.
3. Zur Vermeidung gegenläufiger einstweiliger Verfügungen steht einer einstweiligen Verfügung auf Besitzschutz nach § 861 BGB grundsätzlich schon eine auch nur vorläufig vollstreckbare gerichtliche Entscheidung entgegen, durch die das petitorische Gegenrecht anerkannt wird.
Normenkette
ZPO § 935; BGB §§ 861, 863; VOB/B § 8 Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 30.08.2011; Aktenzeichen 40 O 69/11 KfH) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 30.8.2011 - 40 O 69/11 KfH, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 6.000 EUR
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Verpflichtung der Beklagten, nach Kündigung des Werkvertrags die von der Antragstellerin auf die Baustelle verbrachten Baumaterialien herauszugeben.
Die Parteien haben einen Werkvertrag über Parkettarbeiten geschlossen, in den die VOB/B einbezogen wurde. Mit Schreiben vom 23.8.2011 kündigte die Antragsgegnerin unter Berufung auf §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 5 Abs. 4 VOB/B wegen Leistungsverzugs unter Bezugnahme auf mehrfache Abhilfeverlangen und Nachfristsetzungen. Mit Anwaltsschreiben vom gleichen Tag widersprach die Antragstellerin der fristlosen Kündigung, bot die Fortsetzung der Arbeiten an und teilte mit, das Baumaterial, das teilweise unter Eigentumsvorbehalt erworben worden sei und nicht im Eigentum der Antragstellerin stehe, am 24.8.2011 abzuholen. Nachfolgend verteidigte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23.8.2011 die außerordentliche Kündigung, lehnte eine Fortsetzung der Arbeiten durch die Antragstellerin ab und erklärte, unter Anwendung des § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB näher bezeichnetes Material der Antragstellerin für die Weiterführung der Arbeiten in Anspruch zu nehmen.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 26.8.2011 beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der Verpflichtung der Antragsgegnerin, näher bezeichnete Baumaterialien, die die Antragsgegnerin auf der Baustelle weggeschlossen habe, herauszugeben. Mit Beschl. v. 30.8.2011 - 40 O 69/11 KfH, hat das LG Stuttgart den Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie wesentliche Nachteile erleide, wenn das Material für den einzubauenden Parkettfußboden nicht sogleich an sie herausgegeben werde. Den Anspruch aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B könne der Auftraggeber gem. § 863 BGB selbst einer Besitzschutzklage des Auftragnehmers entgegenhalten. Ansonsten wäre der Anspruch der Antragsgegnerin auf Verwendung der Baustoffe gefährdet. Es fehle im Übrigen ein Vortrag, wie die Antragsgegnerin über den Ausspruch eines Abholungsverbots hinaus eigenmächtig die alleinige Sachherrschaft an dem Baumaterial begründet und damit verbotene Eigenmacht nach § 858 BGB verübt haben soll. Im Fall einer unberechtigten Auftragsentziehung habe die Antragstellerin einen Schadensersatzanspruch gegen die Antragsgegnerin. Die Antragstellerin könne ihre Ansprüche ohne wesentliche Nachteile für sich in einem Hauptsacheverfahren verfolgen.
In einem weiteren Verfahren hat die Antragsgegnerin mit Anwaltsschriftsatz vom 25.8.2011 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, der hiesigen Antragstellerin aufzugeben, die Entfernung näher bezeichneten Baumaterials von der Baustelle zu unterlassen. Mit Urteil des LG Stuttgart vom 19.10.2011 - 40 O 73/11 KfH, das nicht rechtskräftig ist, wurde der hiesigen Antragstellerin untersagt, dieses Baumaterial von der Baustelle zu entfernen.
Gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Verfügung durch Beschluss vom 30.8.2011, zugestellt am 2.9.2011, hat die Antragstellerin am 15.9.2011 sofortige Beschwerde eingelegt. Allein der Umstand, dass der Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört werde, berechtige, die Beseitigung der Störung zu verlangen, ohne dass wesentliche Nachteile dargelegt werden müssten. Das LG habe die Bedeutung des § 863 BGB verkannt. Ein Auftraggeber müsse seinen Anspruch aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B notfalls gerichtlich durchsetzen und dürfe nicht ohne Zustimmung des Auftragnehmers dessen Materialien in Besitz nehmen. Die Antragstellerin habe an den von ihr auf die Baustelle verbrachten Materialien alleinigen Besitz gehabt, der durch die Verweigerung des Zugangs zur Baustelle durch die An...