Leitsatz (amtlich)
Ein Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung des Auftraggebers auf Überlassung von auf der Baustelle befindlichen Baumaterialien des Auftragnehmers liegt nach dem Zugang der Erklärung der Inanspruchnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B vor, wenn der Auftraggeber damit rechnen muss, dass der Auftragnehmer im Wege der einstweiligen Verfügung einen possessorischen Besitzschutzanspruch geltend macht.
Normenkette
BGB §§ 861, 863; VOB/B § 8 Abs. 3 Nr. 3; ZPO §§ 935 ff
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 19.10.2011; Aktenzeichen 40 O 73/11 KfH) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 19.10.2011 - 40 O 73/11 KfH, wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 4.000 EUR
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin möchte der Verfügungsbeklagten untersagen lassen, näher bezeichnetes Verlegematerial vom Bauvorhaben I. zu entfernen, nachdem der VOB-Bauvertrag von der Verfügungsklägerin wegen Zeitverzugs gekündigt worden war und die Verfügungsklägerin für die Weiterführung der Arbeiten auf der Baustelle angelieferte Stoffe und Bauteile nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B in Anspruch genommen hat.
Ergänzend wird auf Ziff. I der Gründe des Beschlusses des Senats vom 22.11.2011 - 10 W 47/11, verwiesen. Es handelt sich gegenüber diesem Verfahren um ein einstweiliges Verfügungsverfahren mit umgekehrten Parteirollen, in dem die jetzige Verfügungsbeklagte Herausgabe u.a. des jetzt streitgegenständlichen Materials verlangt hat.
Mit Urteil vom 19.10.2011 hat das LG Stuttgart dem Verfügungsantrag stattgegeben und der Verfügungsbeklagten untersagt, näher bezeichnetes Material von der Baustelle zu entfernen, und hat für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monate angedroht. Die Verfügungsbeklagte sei dem Vortrag einer berechtigten fristlosen Kündigung wegen Versäumung der Ausführungsfrist und der gesetzten Nachfrist nicht substantiiert entgegen getreten. Die Verfügungsklägerin habe deshalb gem. § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B auf die Baustelle angelieferte Stoffe für die Weiterführung der Arbeiten gegen angemessene Vergütung in Anspruch nehmen dürfen. Nach Zugang dieser Erklärung dürfe ein Auftragnehmer die Baustoffe nicht mehr wegnehmen. Der Verfügungsgrund ergebe sich daraus, dass sich die Verfügungsbeklagte eines Anspruchs auf Herausgabe berühmt und verbotene Eigenmacht der Verfügungsklägerin geltend gemacht habe. Auch wenn die Verfügungsklägerin wegen der Ankündigung einer gerichtlichen Freigabeverfügung nicht habe befürchten müssen, dass ihr die Verfügungsbeklagte ohne gerichtlichen Titel die beanspruchten Baustoffe entziehen würde, habe wegen des anwaltlich erhobenen Vorwurfs der verbotenen Eigenmacht nach § 858 BGB die eingereichte Schutzschrift gegen den zu erwartenden gerichtlichen Antrag der Verfügungsbeklagten zur Wahrung ihrer Rechte nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B nicht ausgereicht. Gegen einen Besitzschutzanspruch könne sich die Verfügungsklägerin nämlich gem. § 863 BGB nicht mit ihrem Anspruch nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B verteidigen.
Bis zur Erledigungserklärung sei auch der das Vorbehaltseigentum des Lieferanten der Verfügungsbeklagten umfassende Anspruch begründet gewesen.
Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Es bestehe kein Verfügungsanspruch. Es treffe nicht zu, dass die Verfügungsklägerin berechtigt sei, die Baustoffe, die Gegenstand des Verfahrens seien, zu verwerten, bevor zwischen den Parteien eine angemessene Vergütung vereinbart worden sei. Die Verfügungsklägerin habe auf ein Angebot der Beklagten nicht reagiert. § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B begründe kein Selbsthilferecht des Auftraggebers. Vielmehr müsse der Auftraggeber seinen Anspruch notfalls gerichtlich durchsetzen.
Auch ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Die Verfügungsbeklagte beabsichtige nicht, ohne gerichtliche Entscheidung sich wieder in den Besitz der Gegenstände zu bringen. Durch ihren Antrag wolle die Verfügungsbeklagte lediglich sicherstellen, dass die Materialien erst dann verwendet würden, wenn sie sich mit der Verfügungsklägerin auf einen Kaufpreis geeinigt habe.
Die Verfügungsbeklagte beantragt:
Das Urteil des LG Stuttgart wird abgeändert. Der Antrag wird abgewiesen.
Die Verfügungsklägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte habe in der Berufungsschrift das Aktenzeichen des angegriffenen Urteils mit 40 O 39/11 KfH falsch angegeben.
Auf das Angebot der Verfügungsbeklagten vom 30.8.2011 habe die Klägerin durchaus reagiert und sich mit den Lieferanten der Verfügungsbeklagten in Verbindung gesetzt, um von diesen die im Streit befindlichen und für das Weiterbauen notwendige Materialien zu erwerben. Auf das Material hätten teilweise keine Eigentums- oder Besitzansprüche der Verfügungsbeklagten mehr bestanden, weil sie die Materiallieferungen nicht bezahlt habe und die Lieferanten von ihrem Eigentumsvorbehalt Gebrauch gemacht hätten. Die von der Ve...