Leitsatz (amtlich)
Wird der Beschuldigte bereits von einem Wahlverteidiger vertreten, entsteht für den ausschließlich für die Vorführung und Vernehmung vor dem zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 u. 2 StPO beigeordneten Pflichtverteidiger nur die Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4103 Ziff. 4 VV RVG.
Normenkette
RVG-VV Nr. 4301
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 14.12.2022; Aktenzeichen 20 Qs 23/22) |
Tenor
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts - 20. Große Strafkammer - Stuttgart vom 14. Dezember 2022 wird als unbegründet
verworfen.
- Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der damals Beschuldigte ... wurde am 29. Juni 2022 festgenommen und zur Eröffnung des Haftbefehls dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Stuttgart vorgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits von Rechtsanwalt ... als Wahlverteidiger vertreten. Weil Rechtsanwalt ... aber verhindert war, erklärte sich ... damit einverstanden, im Vorführungstermin vom Beschwerdeführer, Rechtsanwalt ..., vertreten zu werden. Das Amtsgericht bestellte diesen daraufhin "für den heutigen Anhörungstermin" zum Pflichtverteidiger. In seiner richterlichen Vernehmung machte ... weder zur Person noch zur Sache angaben, und Rechtsanwalt ... beantragte, den Haftbefehl entweder nicht zu erlassen, oder aber gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen. In der Folge erließ das Amtsgericht den Haftbefehl jedoch und setzte ihn in Vollzug. Im weiteren Verlauf des Verfahrens trat Rechtsanwalt ... für den Angeklagten nicht mehr auf.
Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022 machte der Beschwerdeführer eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 709,24 Euro brutto, bestehend aus der Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV RVG in Höhe von 216 Euro, der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG in Höhe von 177 Euro, der Terminsgebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG sowie der Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer, geltend. Zur Begründung führte er aus, der Strafprozessordnung sei ein "beschränkter" Pflichtverteidiger fremd. Auch der lediglich für einen Termin bestellte Pflichtverteidiger sei ein Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten und deshalb umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte- und pflichten betraut. Es handele sich lediglich um einen zeitlich begrenzten Auftrag ohne inhaltliche Beschränkung. Eine Einzeltätigkeit liege nicht vor, denn auch der für einen Termin bestellte Verteidiger müsse sich vollständig und selbständig in den Rechtsfall einarbeiten. Darüber hinaus sei auch nicht nur die Terminsgebühr angefallen. Denn mangels Verhandelns im Sinne der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG entstehe diese Gebühr im Rahmen der Eröffnung eines Haftbefehls nicht. Der Pflichtverteidiger müsse daher ohne Vergütung tätig werden, würde man dieser Auffassung folgen.
Mit Beschluss vom 8. Juli 2022 setzte die Kostenbeamtin des Amtsgerichts die Gebühren und Auslagen auf 285,60 Euro fest. Es liege eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG vor, denn der Beschwerdeführer sei lediglich für die Einzeltätigkeit der Vertretung des Angeklagten im Rahmen der Haftbefehlseröffnung beigeordnet worden. Mit der Verteidigung im Übrigen sei bereits Rechtsanwalt ... beauftragt. Die Rechtsanwalt ... zustehende Vergütung setze sich daher aus der Gebühr Nr. 4301 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer zusammen. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 11. Juli 2022 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer Erinnerung gegen diesen Beschluss. Zur Begründung verwies er auf seinen Antrag vom 30. Juni 2022.
Mit Beschluss vom 28. Juli 2022 wies das Amtsgericht die Erinnerung als unbegründet zurück, weil der Beschwerdeführer dem damaligen Beschuldigten lediglich in einer Einzeltätigkeit beigeordnet worden sei. Der Beschluss wurde am 4. August 2022 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 10. August 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein, ohne diese weiter zu begründen.
Am 13. Dezember 2022 hat der Einzelrichter beim Landgericht Stuttgart die Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage auf die Kammer übertragen. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 hat die 20. Große Strafkammer die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen und in ihrem Beschluss die weitere Beschwerde zugelassen. Maßgeblich für die Abgrenzung eines Einzeltätigkeitsauftrags von einer Vollverteidigung sei die gerichtliche Bestellung. Nach dieser sei der Beschwerdeführer ausschließlich für die Haftbefehlseröffnung beigeordnet worden. Die Auffassung, dass jede Pflichtverteidigerbeiordnung zur Entstehung einer Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr führe, finde im Wortlaut der Vorbemerkung 4.3 VV RVG keinen Halt. Eine einzeltätigkeitsbezogene Pflichtverteidigerbeiordnung sei ohne weiteres mit dem Wortlaut vereinbar. Auch die System...