Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändung künftiger Rentenansprüche

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entscheidung eines Landgerichts, mit welcher die Pfändung künftiger Rentenansprüche auch nach Neufassung des § 54 SGB I abgelehnt wird, ist weder greifbar gesetzeswidrig noch willkürlich.

 

Normenkette

SGB I § 54

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Beschluss vom 13.11.1995; Aktenzeichen 5 T 324/95)

AG Tübingen (Aktenzeichen 3 M 6260/94)

 

Tenor

Die sofortige weitere Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 13.11.1995 wird kostenpflichtig als unzulässig

verworfen.

Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde: 3.000,– DM.

 

Tatbestand

I.

Die Gläubigerin, ein gewerbliches Inkassounternehmen, betreibt gegen den 50-jährigen Schuldner aus einem 1991 erlassenen Versäumnisurteil über eine Hauptforderung von 11.000,– DM und dazu gehörige Kostenfestsetzungsbeschlüsse die Zwangsvollstreckung. Ihren Antrag auf Pfändung aller „gegenwärtigen und zukünftigen fortlaufenden Ansprüche” auf Rentenzahlung „wegen Altersruhegeld, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit” im Rahmen der nach § 850 c ZPO pfändbaren Beträge gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Berlin und der Landes Versicherungsanstalt Württemberg auf der Rechtsgrundlage des neu gefaßten § 54 SGB I hat das Amtsgericht – nach wiederholten rechtlichen Hinweisen der Rechtspflegerin – durch Beschluß vom 19.9.1995 zurückgewiesen; künftige Rentenansprüche seien auch nach neuem Recht regelmäßig „frühestens ab dem 55. Lebensjahr möglich”; außerdem sei der Pfändungsantrag unschlüssig, weil die Gläubigerin zwei Drittschuldner alternativ bezeichne.

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht – nach Vorlage durch den Amtsrichter – durch Beschluß vom 13.11.1995 zurückgewiesen. Unter Hinweis auf ihre ständige Rechtsprechung vertritt die Beschwerdekammer – in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht – die Auffassung, daß die teilweise Neufassung des § 54 SGB I durch das zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs vom 13.6.1994 (BGBl. I 1229) bezüglich der Pfändbarkeit künftiger wiederkehrender Sozialleistungen keine ausdrückliche Regelung getroffen habe, wie sich aus der Gesetzesmaterialien ergebe; aus dem Schweigen des Gesetzgebers könne nicht gefolgert werden, daß die Pfändung künftiger Rentenansprüche völlig ohne zeitliche Schranken zulässig sein solle; vielmehr sei es Aufgabe der Rechtsprechung, vorhandene Gesetzeslücken unter Heranziehung von sich anderweit aus der Rechtsordnung ergebenden Maßstäben auszufüllen, zumal sich auch das verfassungsrechtliche Problem der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns stelle.

Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit der sofortigen weiteren Beschwerde und macht geltend, daß diese bei zwei übereinstimmenden Vorentscheidungen dann zulässig sei, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften oder der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt seien oder wenn „schlechthin eine greifbare Gesetzesverletzung” vorliege; die angefochtene Entscheidung sei „systemwidrig”, verletze die „magna carta des Vollstreckungsrechts, nämlich § 851 Abs. 1 ZPO”, und mißachte den Zweck der Änderung des § 54 SGB I, nämlich die (weitgehende) pfändungsrechtliche Gleichstellung von Sozialleistungen mit Arbeitseinkommen unter Wegfall jeglicher Billigkeitsprüfung; darüber hinaus sei es mit der Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar, wenn das Gericht ohne Auseinandersetzung mit anderen Rechtserkenntnissen seine eigenen rechtspolitischen Wertungen an die Stelle klarer gesetzlicher Regelungen stelle; neben der Beeinträchtigung des Eigentumsrechts der Gläubigerin (Art. 14 GG) sei auch die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt, denn es gebe sonst „kein deutsches Landgericht mehr”, das die Pfändung künftiger Rentenansprüche ablehne. Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die ausführlichen Schriftsätze des Gläubigervertreters, denen mehrere, auch unveröffentlichte Entscheidungen anderer Landgerichte beigelegt sind, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weitere Beschwerde der Gläubigerin ist unzulässig. Der Senat vermag weder einen „neuen selbständigen Beschwerdegrund” noch eine „greifbare Gesetzwidrigkeit” noch eine Grundrechts Verletzung, die zur Selbstkorrektur durch die Fachgerichte Anlaß geben könnte, festzustellen.

1. Ein neuer selbständiger Beschwerdegrund i. S. des § 568 Abs. 2 S. 2 ZPO als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung einer an sich statthaften Beschwerde (§ 793 ZPO) liegt nicht vor. Da Amtsgericht und Landgericht übereinstimmend in der Sache entschieden haben, käme als neuer Beschwerdegrund nur die Nichtbeachtung wesentlicher Verfahrens Vorschriften in Betracht.

a) Ein entscheidungserheblicher Verfahrensfehler ist nicht feststellbar. Das – auch als Verfahrensgrundrecht geschützte (Art. 103 Abs. 1 GG) – rechtliche Gehör ist nicht verletzt. Ein Übergehen erheblichen Sachvortrags liegt ebensowenig vor wie die...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?