Leitsatz (amtlich)

1. Haben sich Ehegatten in einem Ehe- und Erbvertrag gegenseitig zu Erben und in einem ergänzenden gemeinschaftlichen Testament Verwandte sowohl des einen wie des anderen Ehegatten zu Schlußerben eingesetzt, so ist im Zweifel Wechselbezüglichkeit auch dann anzunehmen, wenn dem Überlebenden gestattet ist, das Testament aufzuheben oder zu ändern.

2. Der überlebende Ehegatte kann den ihm vorbehaltenen Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen nur durch Errichtung eines Testaments ausüben.

3. Zur Gültigkeit eines auf ein bestehendes Testament gesetzten, nicht unterschriebenen Viderrufstestaments.

 

Normenkette

BGB §§ 2270-2271, 2291, 2297, 2254-2255, 2247

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Beschluss vom 23.10.1985; Aktenzeichen 3 T 167/85)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten Ziff. 1 werden der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 23.10.1985 und der Vorbescheid des Notariats – Nachlaßgericht – Ravensburg vom 2.7.1985 aufgehoben.

 

Tatbestand

I.

Die Eheleute K. schlossen am 22.10.1935 einen Ehe- und Erbvertrag, in dessen § 5 sie sich für den Fall, daß beim Tode eines Gatten keine Abkömmlinge desselben vorhanden seien, gegenseitig zu unbeschränkten Alleinerben einsetzten.

Am 27.4.1944 errichteten sie ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sie sowohl Verwandte der Ehefrau als auch Verwandte des Ehemannes bzw. deren Kinder zu Erben des Letztversterbenden einsetzten. In dem Testament ist weiter bestimmt:

Nach dem Tode eines von uns Beiden ist der Überlebende berechtigt das gemeinschaftliche Testament aufzuheben oder beliebig zu ändern.

Der Ehemann verstarb am 28.2.1960 ohne Hinterlassung von Abkömmlingen. Nach seinem Tode brachte die Ehefrau auf der linken oberen Ecke der 1. Seite des in ihrem Besitz verbliebenen Testaments den handschriftlichen Vermerk

nicht mehr güldig

den 20.7.66

an.

Die Ehefrau (Erblasserin) ist am 14.3.1984 kinderlos verstorben.

Die Beteiligten Ziff. 10 und 13 haben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Testaments nach der gesetzlichen Erbfolge beantragt, die Beteiligten Ziff. 1 und 2 je die Erteilung eines Teilerbscheins auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments.

Das Nachlaßgericht hat durch Vorbescheid angekündigt, daß es dem Antrag der Beteiligten Ziff. 10 und 13 stattgeben und den der Beteiligten Ziff. 1 und 2 zurückweisen werde, sofern nicht bis 19.7.1985 Beschwerde gegen den Vorbescheid eingelegt werde.

Die rechtzeitig von den Beteiligten Ziff. 1 und 2 erhobene Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluß vom 23.10.1985 zurückgewiesen.

Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte Ziff. 1 sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das nach den §§ 27 ff. FGG zulässige Rechtsmittel ist begründet, denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 550 ZPO).

1. Das Landgericht hat ausgeführt, das Anbringen der Worte „nicht mehr güldig” stelle einen Widerruf durch Veränderung der Testamentsurkunde nach § 2255 BGB dar. Dieser sei wirksam, weil das gemeinschaftliche Testament keine wechselbezüglichen Verfügungen enthalte. Letzteres ergebe sich aus der Bestimmung des Testaments, nach dem der Überlebende zur Änderung der Aufhebung des Testaments berechtigt sei. Diese Klausel könne nur so verstanden werden, daß sie die Wechselbezüglichkeit schlechthin ausschlösse.

Im übrigen sei die Freistellungsklausel zumindest als eine Erweiterung der Widerruflichkeit in der Weise zu verstehen, daß diese durch den Überlebenden in jeder vom Gesetz vorgesehenen Form erfolgen könne.

2. Diese Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer fehlerhaften Auslegung der §§ 2270 und 2271 BGB.

a) Unrichtig ist die Folgerung des Landgerichts, aus der Freistellungsklausel ergebe sich, daß die Erbeinsetzung in Ehe- und Erbvertrag sowie im Testament nicht wechselbezüglich seien.

Wechselbezüglichkeit liegt nach § 2270 Abs. 1 BGB dann vor, wenn von den Ehegatten Verfügungen getroffen wurden, von denen anzunehmen ist, daß die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Ob dies der Fall ist, ist durch die Ermittlung des Erblasserwillens festzustellen. Für den Fall, daß die Ermittlung zu keinem Ergebnis führt, daß also sowohl Wechselbezüglichkeit als Nichtwechselbezüglichkeit dem Willen der Erblasser entsprechen könnte, greift die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB ein, wonach Wechselbezüglichkeit in bestimmten Fällen des gegenseitigen Bedenkens und des Bedenkens von Verwandten anzunehmen ist.

Vorliegend hat das Landgericht allein aus der Freistellungsklausel den Erblasserwillen dahin ermittelt, daß keine Wechselbezüglichkeit vorliegt.

Das ist fehlerhaft, denn es entspricht allgemeiner Meinung, daß die Ehegatten den Überlebenden ein Widerrufsrecht einräumen können, ohne die Wechselbezüglichkeit im übrigen einzuschränken (Staudinger/Kanzleiter, BGB, 12. Aufl., § 2270, Rdn. 11 und 56; RGR.-Komm. zum BGB, 12. Aufl., § 2270, Rdn. 8; Palandt, BGB, 44. Aufl., § 2270 1 b; BGH v, 3.7.1964 in NJW 64, 2056 unter Aufgabe von...

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