Leitsatz (amtlich)

Die behördliche Anfechtung der Vaterschaft gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 5

 

Verfahrensgang

AG Backnang (Aktenzeichen 3 F 547/09)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 20.09.2011; Aktenzeichen 1 BvR 2250/11)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beteiligte Ziff. 1 und der Beteiligte Ziff. 2 nicht berechtigt sind, ihre Mitwirkung gemäß Beweisbeschluss des Senats vom 2.12.2010 zur Einholung eines schriftlichen humangenetischen Abstammungsgutachtens (Entnahme eines Mundschleimhautabstrichs zu Untersuchungszwecken) zu verweigern.

2. Zur Erzwingung der Mitwirkungsverpflichtung aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 2.12.2010 (Entnahme eines Mundschleimhautabstrichs) wird gegen den Beteiligten Ziff. 2 ein Ordnungsgeld i.H.v. 500 EUR, für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von 5 Tagen festgesetzt.

3. Zur Erzwingung der Mitwirkungsverpflichtung aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 2.12.2010 (Entnahme eines Mundschleimhautabstrichs) wird gegen die Beteiligte Ziff. 3 ein Ordnungsgeld i.H.v. 300 EUR, für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von 5 Tagen festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller hat im Wege eines Vaterschaftsanfechtungsantrags gem. § 1600 Abs. 1 Ziff. 5 BGB ("Behördenanfechtung") beantragt, festzustellen, dass die Beteiligte Ziff. 1 nicht das Kind des Beteiligten Ziff. 2 ist.

Das AG - Familiengericht - Backnang hat mit Beschluss vom 20.9.2010 den Antrag des Antragstellers abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass von einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beteiligten Ziff. 2 und der Beteiligten Ziff. 1 auszugehen sei, mit der Folge, dass gem. § 1600 Abs. 3 BGB der Antrag des Antragstellers unbegründet sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt; er hat ausgeführt, dass seiner Auffassung nach keine sozial-familiäre Beziehung vorliege, da der Beteiligte Ziff. 2 zu keinem Zeitpunkt Verantwortung für das Kind übernommen habe.

Der Senat erließ am 2.12.2010 einen Beweisbeschluss, in dem er zur Klärung der Frage, ob der Beteiligte Ziff. 2 der Vater der Beteiligten Ziff. 1 sei, die Einholung eines schriftlichen humangenetischen Abstammungsgutachtens anordnete, wobei zu Untersuchungszwecken ein Mundschleimhautabstrich entnommen werden solle.

In den Gründen dieses Beschlusses führte der Senat aus, dass nach den in der ersten Instanz ermittelten Tatsachen es an Feststellungen dafür fehle, dass von einer tatsächlichen Verantwortung des Beteiligten Ziff. 2 für die Beteiligte Ziff. 1 auszugehen sei.

Gegen diesen Beschluss legte die Beteiligte Ziff. 1 Verfassungsbeschwerde ein, darüber hinaus mit Schriftsatz vom 21.12.2010 hilfsweise "Rechtsmittel" und weiter wurde ein Weigerungsrecht dahingehend geltend gemacht, dass die Beteiligte Ziff. 1 die Durchsetzung des Beweisbeschlusses vom 2.12.2010 nicht zu dulden habe.

Mit Schriftsatz vom 25.3.2011 erklärte auch der Beteiligte Ziff. 2 sein Weigerungsrecht gegen die Umsetzung des Beweisbeschlusses vom 2.12.2010.

Die Beteiligte Ziff. 1 hat mit Schriftsatz vom 28.4.2011 zuletzt noch beantragt, das Verfahren gem. § 21 FamFG unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des OLG Bremen vom 7.3.2011 (FamRZ 2011, 1073), auszusetzen.

II.1. Das OLG Bremen hat mit Beschluss vom 7.3.2011 die Auffassung vertreten, dass die gesetzliche Regelung zur Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB mit Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei und hat sein Verfahren dem BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG Bremen hat dies mit einer Ungleichbehandlung zwischen nicht ehelich geborenen Kindern und scheinehelich geborenen Kindern begründet. Kinder, die während einer Scheinehe zur Welt kommen, seien dadurch privilegiert, dass sie gem. § 1592 Nr. 1 BGB abstammungsrechtlich ihrem Vater zugeordnet werden und damit von der Behördenanfechtung gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ausgenommen seien, da die zuständige Behörde nur ein Anfechtungsrecht in den Fällen des § 1592 Nr. 2 BGB (Vaterschaftsanerkennung) habe.

Zwar stehe der zuständigen Verwaltungsbehörde auch bei Scheinehen gemäß den §§ 1316 Abs. 3, 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB das Recht zu, einen Antrag auf Aufhebung der Scheinehe zu stellen.

Werde auf Antrag der zuständigen Behörde eine Scheinehe aufgehoben, habe dies indes keinen Einfluss auf die einmal eingetretene Vaterschaft, da die Auflösung im Falle der Scheidung der Ehe gem. § 1313 S. 2 BGB ex nunc geschehe, mit der Folge, dass die einmal eingetretene Vaterschaftswirkung bestehen bleibe und das Kind seinen Status als eheliches Kind nicht verliere.

Eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB habe hingegen zur Folge, dass das Kindschaftsverhältnis zum Vater rückwirkend ende und damit - anders als bei der Aufhebung der Scheinehe - auch die rechtliche Voraussetzung eines durch den Vater vermittelten Staat...

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