Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 18.05.2022; Aktenzeichen 14 StVK 179/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - 14. Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 18. Mai 2022
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Tübingen
zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Beschwerdeführer am 10. Oktober 2018 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren. Zugleich ordnete das Landgericht nach einem Vorwegvollzug von zwei Jahren die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt an.
Am 10. Dezember 2019 wurde der Beschwerdeführer, der sich zuvor seit dem 6. September 2017 zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Strafhaft befunden hatte, zur Maßregelvollstreckung in das Zentrum für Psychiatrie ... verlegt. Seither ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschlüssen vom 10. Juni 2020, 15. Dezember 2020, 2. Juni 2021 sowie vom 24. November 2021 jeweils die Fortdauer der Unterbringung an.
Am 28. Dezember 2021 wurde der Beschwerdeführer in eine Adaptionseinrichtung in ... verlegt. Seit dem 1. Mai 2022 lebt er in einer eigenen Wohnung in.... Zuvor nahm er am 29. April 2022 eine Erwerbstätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma auf. Diese setzt ihn derzeit bei ... ein.
Nach vorangegangener mündlicher Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Mai 2022 hat die Strafvollstreckungskammer am selben Tag die Fortdauer der Unterbringung beschlossen. Der Verurteilte zeige einen guten Verlauf, müsse sich aber in den sich gerade realisierenden Umbrüchen mit Arbeitsantritt, selbstständigem Wohnen und eigenverantwortlicher Aufnahme von Hilfsangeboten des Suchthilfesystems noch stabilisieren und bewähren.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer, der eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung anstrebt, mit seinem Rechtsmittel. Er rügt insbesondere, dass aus der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht hervorgehe, wie lange die Maßregel noch andauern solle. Es seien keine Tatsachen und Erwägungen dargelegt, die den Rückschluss zuließen, dass sich der Verurteilte nicht bereits ausreichend stabilisiert und bewährt habe.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat (zumindest vorläufig) auch in der Sache Erfolg. Denn die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen.
1. Entscheidungen, die den Entzug oder die Einschränkung der persönlichen Freiheit betreffen, müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich verankerten Freiheitsgarantie entspricht. Dabei ist immer eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 5. Juni 2019 - 2 BvR 382/17, juris Rn. 26 mwN). Dieses Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug.
2. Zwar ergibt sich hieraus nicht, dass bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB oder über deren Erledigung zwingend ein externer Sachverständiger hinzuzuziehen wäre. Vielmehr kann eine gutachterliche Stellungnahme der behandelnden Klinik, ggf. in Verbindung mit dem Protokoll der richterlichen Anhörung des Verurteilten, eine zuverlässige und zureichende Entscheidungsgrundlage bieten (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juni 2020 - 4 Ws 127/20, juris Rn. 22). Dies gilt jedoch nur dann, wenn die gutachterliche Stellungnahme die maßgebenden Tatsachen vollständig mitteilt. Daran fehlt es hier.
a) Die vom Beschwerdeführer angestrebte Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung kommt in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StGB).
Kommt die Vollzugseinrichtung, wie vorliegend, zu dem Ergebnis, dass die Legalprognose negativ ist, muss ihre Stellungnahme Ausführungen dazu enthalten, welcher Art die rechtswidrigen Taten sind, die von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz), wie hoch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist und inwieweit im Falle einer Aussetzung der Maßregel zur Bewährung im Rahmen der Führungsaufsicht Anordnungen nach § 68a, § 68b StGB als weniger belastende Maßnahmen ausreichen können, um den Zweck der Maßregel zu erreichen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 19. Oktober 2020 - 2 Ws 131/20, juris Rn. 17 für eine gutachterliche Stellungnahme nach § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Werden diese Anforderungen nicht erfüllt und stützt das Gericht seine die Bewährungsaussetzung ablehnende Entscheidung dennoch auf die gutachterliche Stellungnahme,...