Leitsatz (amtlich)
Die fehlende Dokumentation nach §§ 202a, 212 StPO von dokumentationspflichtigen Gesprächen durch den Vorsitzenden und/oder die Staatsanwaltschaft vor oder außerhalb einer Hauptverhandlung führt im Lichte der durch das Verständigungsgesetz in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht getroffenen Bestimmungen zur Unwirksamkeit einer in Folge solcher Gespräche erklärten Beschränkung der Berufung eines Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch, wenn nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass die Beschränkungserklärung von der Verletzung der Dokumentations- und Transparenzpflicht vollständig unbeeinflusst geblieben ist.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 27.03.2013; Aktenzeichen 23 Ns 26 Js 18466/10) |
AG Reutlingen (Aktenzeichen 7 Ls 26 Js 18466/10) |
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 27. März 2013
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Tübingen
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z u r ü c k v e r w i e s e n . |
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - hat die Angeklagten am 29. August 2011 jeweils der gemeinschaftlichen sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchter gemeinschaftlicher Nötigung, den Angeklagten B. desweiteren der versuchten Nötigung im Straßenverkehr schuldig gesprochen. Es verurteilte deswegen den Angeklagten B. unter Einbeziehung der Strafe des Amtsgerichts vom 26. Januar 2011 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten N. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten W. zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Es ordnete zudem gegen die seit 28. September 2010 inhaftierten Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft an.
Gegen dieses Urteil wandten sich alle drei Angeklagte mit einer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Auch die Staatsanwaltschaft legte rechtzeitig Berufung ein. Sie beschränkte zeitgleich mit der Vorlage der Akten gemäß § 321 StPO an die Kleine Strafkammer des Landgerichts am 20. Oktober 2011 ihre Berufung auf das Strafmaß.
Am 6. Dezember 2011 erklärte die (neue) Verteidigerin des Angeklagten W. gegenüber dem Landgericht eine Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch; eine solche erklärten am 8. Dezember 2011 auch der Verteidiger des Angeklagten B. und am 8. Februar 2012 der (neue) Verteidiger des Angeklagten N.. Die diesen Erklärungen vorangegangenen Geschehnisse und die Wirksamkeit der Beschränkungen sind unter den Beteiligten strittig und waren auch Gegenstand der Beweisaufnahme vor der Berufungskammer.
Mit dem angefochtenen Urteil verwarf das Landgericht, das die Beschränkungen für wirksam erachtete, die Berufungen der Angeklagten; auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch wie folgt abgeändert: Der Angeklagte B. wurde unter Einbeziehung der Strafe des Amtsgerichts vom 26. Januar 2011 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zehn Monaten, der Angeklagte N. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und der Angeklagte W. zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt. Bei sämtlichen Angeklagten wurde ein Monat wegen der überlangen Verfahrensdauer als bereits vollstreckt erkannt.
II.
Auf die form- und fristgerecht eingelegten Revisionen der Angeklagten ist das Urteil des Landgerichts aufzuheben. Es kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkungen der Angeklagten ausgegangen ist und deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen hat. Eines Eingehens auf die zulässig erhobenen Verfahrens- und Sachrügen bedarf es daher nicht.
1.
Die Wirksamkeit von Berufungsbeschränkungen ist vom Revisionsgericht, wie auch zuvor von der Berufungskammer, von Amts wegen zu prüfen. Entgegen teilweise anderer Ansicht in der Revisionsbegründungsschrift der Verteidigerin Rechtsanwältin S. enthält das amtsgerichtliche Urteil ausreichende Feststellungen, die eine Berufungsbeschränkung nicht von vornherein als unwirksam erscheinen lassen würden. Die Ausführungen und Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils stellen grundsätzlich eine ausreichende Grundlage für eine zu treffende Rechtsfolgenentscheidung dar.
2.
Die Berufungsbeschränkungen aller drei Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch können hier jedoch deswegen keine Wirksamkeit entfalten, weil ihnen Gespräche des (damaligen) Strafkammervorsitzenden mit Verteidigern der Angeklagten vorangegangen sind, die entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht dokumentiert wurden. Auch die Staatsanwaltschaft hat derartige Gespräche entgegen § 160b StPO nicht dokumentiert und zur Akte gebracht.
a) Die für die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung, wie sie die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch darstellt, maßgeblichen tatsächlichen Umstände hat das Revisionsgericht von Amts wegen im Freibeweisve...