Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 22.10.2021; Aktenzeichen 24 F 1188/21) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 22.10.2021 in Ziff. 1 und 2 der Entscheidungsformel abgeändert.
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kind M. J., geb. ...2018, innerhalb von 2 Wochen nach Rechtskraft dieses Beschlusses nach Italien zurückzuführen.
2. Kommt die Antragsgegnerin der in Ziff. 1 genannten Verpflichtung nicht nach, ist sie verpflichtet, das Kind an den Antragsteller zum Zweck der sofortigen Rückführung nach Italien herauszugeben.
3. Die Antragsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass im Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung in Ziff. 2 (Herausgabe) ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000,00 Euro sowie für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes kein Erfolg verspricht, Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann.
4. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
III. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Rückführung des Kindes M. nach Italien nach den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die
zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ).
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des Kindes M. J., geb. ...2018. Sie besitzen die Staatsangehörigkeit von Gambia.
Sie kamen im Jahr 2016 getrennt über den Seeweg nach Italien. Die Antragsgegnerin stellte am 26.04.2017 in Italien einen Asylantrag. Nachdem beide Beteiligte eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatten, ließen sie sich in C. auf Sizilien nieder. Das Kind M. wurde am ...2018 in C. geboren. Nach italienischem Recht steht die elterliche Sorge für das Kind beiden Elternteilen gemeinsam zu.
Ab April 2019 lebte die Familie in der Stadt T... Ab 01.06.2020 und zunächst befristet bis 31.05.2021 mieteten die Beteiligten gemeinsam eine möblierte Wohnung an, in der der Antragsteller weiterhin lebt. Ihm wurde auf seinen Antrag in Italien Asyl gewährt. Der Antragsteller arbeitet in einem Restaurant und hat ein monatliches Einkommen von ca. 1.200 Euro netto. Die Antragsgegnerin hatte ab 13.07.2019 bis 30.06.2020 einen Teilzeit-Arbeitsvertrag als Spülerin. M. war in T. für die Zeit ab Oktober 2020 im Kindergarten angemeldet.
Am 22.07.2020 reiste die Antragsgegnerin im Einverständnis des Antragstellers mit M. nach Deutschland. Dort kam sie am 04.08.2020 an. Sie stellte am 07.08.2020 in Deutschland einen Asylantrag.
Die Antragsgegnerin lebt mit M. in ...M. in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. M. ist auf der Warteliste für einen Kindergartenplatz. Die Antragsgegnerin und M. erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Mit Schreiben vom 22.09.2020 ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die italienischen Behörden um Wiederaufnahme der Antragsgegnerin und ihres Kindes binnen zwei Monaten. Das Schreiben blieb unbeantwortet. Mit Bescheid vom 03.02.2021 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag der Antragsgegnerin als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hob mit Beschluss vom 08.03.2021 (Az.: A 3 K 689/21) diesen Bescheid des Bundesamts auf. In den Gründen seiner Entscheidung führt das Verwaltungsgericht insbesondere aus, es gebe Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für die Antragsgegnerin in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung mit sich bringen. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Antragsgegnerin und M. bei einer Rückkehr nach Italien "eine ernsthafte Gefahr einer den Grundsätzen des Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung oder Situation extremer materieller Not droht". Denn es sei nach der gegenwärtigen Erkenntnislage "nicht gesichert, dass den Klägern, einer alleinstehenden Mutter mit einem dreijährigen Kleinkind, ... für eine angemessene Unterkunft nach der Rückkehr nach Italien unmittelbar die notwendige kind- und familiengerechte Unterkunft zur Verfügung stehen wird."
Die Antragsgegnerin verfügte über eine italienische Aufenthaltserlaubnis "Permesso di soggiorno per lavoro subordinato", die am 27.01.2020 ausgegeben wurde und am 27.01.2021 auslief.
Der Antragsteller hat mit Schreiben des Bundesamts für Justiz vom 26.07.2021, das am selben Tag beim Amtsgericht Stuttgart einging, die Rückführung von M. nach Italien nach den Vorschriften des HKÜ und die Herausgabe des Kindes beantragt. Auf das Schreiben vom 26.07.2021 wird verwiesen. Der Antragsteller ist der Ansicht, die Antragsgegnerin halte M. im Sinne des HKÜ widerrechtlich in Deutschland zurück und sei daher zur Rüc...