Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde gegen eine sitzungspolizeiliche Maßnahme nach § 176 GVG ist ausnahmsweise statthaft, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, dass ihn die Maßnahme über die Hauptverhandlung hinaus in seinen Rechten beeinträchtigt. §§ 181 Abs. 1 GVG, 305 StPO stehen dem nicht entgegen.
2. Im Beschwerdeverfahren kann die Maßnahme nur darauf überprüft werden, ob sie einen zulässigen Zweck verfolgt, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht und ob der Vorsitzende das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
3. Der Vorsitzende kann eine sitzungspolizeiliche Maßnahme auch dann treffen, wenn durch sie sichergestellt werden soll, die materielle Wahrheit zu finden. Deshalb kann er den Verteidigern untersagen, ihre Mobiltelefone in den Sitzungssaal mitzunehmen, wenn andernfalls die Gefahr bestünde, dass die in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten auf diese unbemerkt zugreifen und sie zu unüberwachter Telekommunikation nutzen.
Normenkette
GVG §§ 176, 181 Abs. 1; StPO § 305
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 19.05.2011; Aktenzeichen 2 KLs 50 Js 54399/09) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen Nummer 1. der Verfügung der Vorsitzenden der 2. Großen Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart vom 19. Mai 2011 wird als unzulässig, die Beschwerden seiner Verteidiger werden als unbegründet
v e r w o r f e n .
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
I. Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart vom 03. Juli 2009 seit dem 08. Juli 2009 in Untersuchungshaft. Ihm wird darin ein gemeinschaftlich begangener versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 212, 22, 23, 25 Abs. 2, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5, 52 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen zur Last gelegt; als Haftgrund hat das Amtsgericht Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, und Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO, angenommen. Die gegen ihn und andere Mitangeklagte wegen dieser Tat erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart hat die 2. Große Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart durch Beschluss vom 30. Dezember 2009 zur Hauptverhandlung zugelassen; zugleich hat sie den genannten Haftbefehl aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten und in Vollzug gelassen. Die Hauptverhandlung hat am 03. März 2010 begonnen und wird bis zum heutigen Tage fortgesetzt.
In Vorbereitung der Hauptverhandlung beschloss die Vorsitzende mit sitzungspolizeilicher Verfügung vom 15. Februar 2010 unter Ziffer III. 4 u.a., dass die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, die Verteidiger der Angeklagten und die Nebenklägervertreter ihre Mobiltelefone zwar in den Sitzungssaal mitnehmen dürften, dass diese aber auszuschalten seien.
Durch die angefochtene Entscheidung verfügte die Vorsitzende unter Ziffer 1 wie folgt: "Ziffer III. 4. der sitzungspolizeilichen Verfügung vom 15. Februar 2010 wird dahin abgeändert, dass die Verteidiger künftig ihre Mobiltelefone nicht mehr in den Sitzungssaal mitnehmen dürfen." Im Hauptverhandlungstermin am 23. Mai 2011 lehnte die Vorsitzende den Antrag, diese Verfügung aufzuheben, ab. Sie sei erforderlich, um der Gefahr vorzubeugen, dass Angeklagte auf Mobiltelefone von Verteidigern zugreifen und diese zu unüberwachten Telefonaten nutzen. Die gemäß §
238 Abs. 2 StPO angerufene Jugendkammer bestätigte diese Verfügung noch in derselben Hauptverhandlung durch Beschluss.
Mit ihrem am 20. Mai 2011 eingelegten Rechtsmittel, das sie mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 als Beschwerde bezeichnet haben, machen die Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, dass die angefochtene sitzungspolizeiliche Verfügung das Grundrecht der Verteidiger auf freie Berufsausübung verletze, da diese während der Sitzung insbesondere nicht mehr für andere Mandanten erreichbar seien. Zudem impliziere die Verfügung die Unterstellung, die Verteidiger würden ihre Mobiltelefone ihrem jeweiligen Mandanten zur Nutzung überlassen und sich dadurch an Verdunkelungshandlungen beteiligen bzw. sich einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat schuldig machen. Damit greife sie massiv in ihr Persönlichkeitsrecht ein.
II. Die Beschwerde des Angeklagten ist mangels einer Beschwer bereits unzulässig.
Dass seine Rechte oder seine sonstigen schutzwürdigen Interessen durch die angefochtene Verfügung beeinträchtigt wären, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
III. 1. Die Beschwerden der Verteidiger sind, soweit sie im eigenen Namen erhoben sind, zulässig.
a) Ihrer Statthaftigkeit steht nicht § 181 Abs. 1 GVG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln in den Fällen der §§ 178, 180 GVG binnen einer Woche Beschwerde eingelegt werden. Nach überwiegender Auffassung folgt daraus zwar im Umkehrschluss, dass andere sitzungspolizeiliche Maßnahmen - insbesondere solche auf der Grundlage des § 176 GVG - der gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde grundsätzlich entzogen sind (vgl. nur KG NStZ 2011, 120; OLG Nürnberg MDR 1969, 600; OLG Zweibr...