Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 18.11.2020; Aktenzeichen 2 KLs 13 Js 13599/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts - 2. Große Strafkammer - Tübingen vom 18. November 2020 wird als unbegründet
verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagte und neun Mitangeklagte ist bei der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen seit Januar 2014 ein Strafverfahren wegen Verdachts des 160-fachen banden- und gewerbsmäßigen Betrug zum Nachteil der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg anhängig. Mit Beschluss vom 9. Februar 2018 setzte die Kammer das Verfahren zur Klärung sozialrechtlicher Fragen analog § 262 Abs. 2 StPO aus. Mit Beschluss vom 30. September 2020 ordnete die Kammer die Wiederaufnahme des Verfahrens an und die Vorsitzende bestimmte 14 Hauptverhandlungstermine ab 23. November 2020 bis 9. Februar 2021. In der Folge beantragte der Angeklagte u. a., das Verfahren wegen der mit der Corona-Pandemie verbundenen Gesundheitsgefahren auszusetzen und die anberaumten Termine aufzuheben.
Mit Beschluss vom 18. November 2020 hat die Vorsitzende der Strafkammer den Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der die Vorsitzende am 23. November 2020 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat vorgelegt hat.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Gemäß § 305 Satz 1 StPO sind Beschwerden gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminaufhebung oder -verlegung als eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. OLG München, Beschluss vom 30. März 2020 - 2 Ws 387 + 388/20 Rn. 11 und 12, NStZ 2020, 503). Nach herrschender Rechtsprechung ist das Rechtsmittel allerdings dann ausnahmsweise als zulässig anzusehen, wenn es darauf gestützt wird, dass die Entscheidung des/der Vorsitzenden rechtswidrig ist, wozu auch die fehlerhafte Ausübung des Ermessens gehört (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. November 2020 - 2 BvQ 87/20 Rn. 45; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 213 Rn. 8 mwN; insoweit noch einschränkender OLG Stuttgart, Justiz 2006, 8: nur bei evidentem und gewichtigem Rechtsfehler). Entscheidend ist, ob die Zwischenentscheidung der Terminierung für den Betroffenen bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr oder nicht vollständig behoben werden könnte (vgl. BVerfG, aaO Rn. 42 mwN). Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung mit der Maßgabe an, dass nur gewichtige und evidenten Fehler der Ermessensentscheidung des/der Vorsitzenden eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Ausschluss der Beschwerde durch § 305 Satz 1 StPO rechtfertigen. In jedem Fall ist die Zweckmäßigkeit der Terminsbestimmung einschließlich der Möglichkeit einer anderen Terminplanung und Terminierung der Nachprüfung des Beschwerdegerichts entzogen (vgl. dazu auch Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 213 Rn. 18).
Der Angeklagten kann unter Anwendung dieses Maßstabs nicht verwehrt werden, gestützt auf die Behauptung einer nicht mehr behebbaren drohenden Gesundheitsschädigung und damit einer Verletzung ihres Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die unterlassene Terminsaufhebung als Zwischenentscheidung durch die Einlegung einer Beschwerde zur Überprüfung zu stellen (vgl. BVerfGE 51, 324 ≪ 342 f. ≫; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 2 BvR 483/20, Rn. 3).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zwar macht der Angeklagte einen Ermessensfehlgebrauch geltend, seine Rüge greift indes nicht durch. Die Ablehnung der Vorsitzenden, die Termine der anberaumten Hauptverhandlung aufzuheben, ist nicht zu beanstanden. Sie hat bei ihrer Entscheidung das staatliche Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens, um dem staatlichen Strafanspruch Geltung zu verschaffen, und die Interessen des Angeklagten und der weiteren Prozessbeteiligten, namentlich das Gesundheitsrisiko, in angemessener Weise gegeneinander abgewogen.
a) Die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen sowie die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren Beschuldigter erfordern grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafausspruchs. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst regelmäßig auch die Pflicht, die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen (vgl. BVerfGE 51, 324 ≪ 343 f.≫). Ist angesichts des Gesundheitszustandes eines Angeklagten ernsthaft zu befürchten, dass er bei Teilnahme an einer Hauptverhandlung sein Leben gefährden oder schwerwiegende Gesundheitsschäden erleiden würde, entsteht zwischen der Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem Grundrecht eines Angeklagten aus A...