Leitsatz (amtlich)

1. Stellt der Betreiber einer Online-Enzyklopädie (hier: Wikipedia) lediglich Dritten (den Nutzern) die Plattform und einen Speicherplatz zur Verfügung, damit diese selbst verfasste Beiträge hinterlegen können, ohne dass eine Vorabkontrolle oder eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion stattfindet, treffen ihn grundsätzlich hinsichtlich persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigender Inhalte keine proaktiven Prüfungspflichten.

2. Er haftet jedoch nach den von der Rechtsprechung des BGH für sog. Host-Provider entwickelten Grundsätzen als Störer, wenn er vom Verletzten über persönlichkeitsrechtverletzende Inhalte in Kenntnis gesetzt wird und dennoch nicht reagiert.

3. Ein Unterlassungsanspruch ist dann nur hinsichtlich der Begehungsform des Verbreitens gegeben und - mangels Begehungsgefahr - nicht hinsichtlich der Begehungsform des Behauptens.

4. Die von der Rechtsprechung des BGH beginnend mit der Entscheidung "Online-Archiv I" (Urt. v. 15.12.2009 - VI ZR 227/08) entwickelten Grundsätze für die Zulässigkeit der Abrufbarkeit älterer Artikel in Online-Archiven von Publikationsorganen sind auf Beiträge (etwa Kurzbiographien) in derartigen Online-Enzyklopädien, die auf Aktualisierung angelegt sind, nicht übertragbar.

5. Die von der Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung über strafprozessuale Ermittlungsverfahren und Strafanzeigen und zur Verdachtsberichterstattung entwickelten Grundsätze sind auf die Berichterstattung über behördliche Verfahren jedenfalls dann zu übertragen, wenn diese die Überprüfung von Vorwürfen zum Gegenstand haben, die den Ruf des Betroffenen in ähnlich schwerwiegender Weise betreffen wie der Vorwuf einer Straftat.

6. Sind die in einem solchen Verfahren geprüften Vorwürfe unstreitig unwahr, überwiegt bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie der Meinungsfreiheit andererseits das Persönlichkeitsrecht bei fehlender Aktualität regelmäßig auch dann, wenn gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt wird.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 26.03.2013; Aktenzeichen 17 O 814/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Stuttgart vom 26.3.2013 (Az. 17 O 814/11) teilweise abgeändert und in Ziff. 1 seines Tenors wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten:

a) Nachdem der Sitz des Senders (des Klägers) nach W. verlegt worden war, ging auch bei der Medienaufsicht in Ö. eine Beschwerde ein, dass H. in einem Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost habe;

b) Zudem gab es Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt; wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben:

2. Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung des Klägers wird hinsichtlich des Anschlussberufungsantrags Ziff. 3 verworfen. Im Übrigen wird seine Anschlussberufung zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger ¾ und die Beklagte ¼.

5. Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsausspruchs (Tenor Ziff. 1) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 2.500 EUR vorläufig vollstreckbar und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 8.000 EUR

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Unterlassung mehrerer Äußerungen über ihn in der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie "Wikipedia" sowie die Erstattung von Abmahnkosten.

1. Der Kläger betrieb bis 2004 über eine von ihm beherrschte Gesellschaft in B-W den regionalen Fernsehsender x. und betreibt nunmehr u.a. den in

Ö. ansässigen Internetkanal "T".

Die Beklagte, eine im US-Bundesstaat K ansässige Stiftung, betreibt die weltweit genutzte Online-Enzyklopädie "Wikipedia" (www.wikipedia.de). Deren Inhalte werden nicht von ihr selbst eingestellt, vielmehr wird Dritten die Plattform und ein Speicherplatz zur Verfügung gestellt, damit diese selbst verfasste Beiträge hinterlegen können. Es findet weder eine Vorabkontrolle der Inhalte noch eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion statt.

In der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie "Wikipedia" findet sich über den Kläger der auf den Seiten 3 und 4 dieses Urteils wiedergegebene Beitrag.

Der in Fußnote 9 dieses Beitrages zitierte Artikel aus der "St Zeitung" ist nach wie vor im Online-Archiv dieser Zeitung abrufbar.

Die darin angesprochenen gegen den Kläger erhob...

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