Leitsatz (amtlich)
Tauscht eine Fahrerlaubnisbehörde eines EU- oder EWR-Mitgliedstaats einen aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden EU- oder EWR-Führerschein um, ist für die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV jedenfalls dann auf den durch Umtausch erlangten Führerschein abzustellen, wenn im Zusammenhang mit dem Umtausch die Gültigkeitsdauer der Fahrerlaubnis verlängert wird.
Normenkette
StVG § 21 Abs. 1 Nr. 1; FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Tübingen (Entscheidung vom 29.07.2014; Aktenzeichen 4 Ds 15 Js 5186/13) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 29. Juli 2014 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 29. Juli 2014 die beiden Angeklagten vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft Tübingen mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Beiden Angeklagten wurde am 31. Mai 2005 ein tschechischer Führerschein ausgestellt, in dem als Wohnort ........ vermerkt war. Beide Führerscheine nennen als Ablaufdatum den 30. Mai 2015. Auf den jeweiligen Antrag der Angeklagten stellte eine britische Behörde am 22. Februar 2009 beiden Angeklagten Führerscheine aus. In den Führerscheinen ist jeweils als Tag des Erwerbs der 31. Mai 2005 genannt. Auf beiden Führerscheinen ist der Vermerk "70CZ" angebracht, der darauf hinweist, dass der britische Führerschein im Wege des Umtausches eines vorhandenen tschechischen Führerscheins erworben wurde. Beide Führerscheine nennen eine Wohnanschrift in ....... Beim Angeklagten ........ist der 15. November 2034 und bei der Angeklagten ......... der 25. August 2020 als Ablaufdatum vermerkt.
Am 23. September 2012 steuerte der Angeklagte ......... und am 11. Februar 2013 die Angeklagte .......... einen Pkw im Straßenverkehr in Deutschland.
2.
Das Amtsgericht führt aus, dass aus Großbritannien stammende unbestreitbare Informationen, wonach die britischen Führerscheine unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden seien, nicht vorliegen würden. Solche Informationen "dürften" auch "schwerlich zu beschaffen sein", weil in Großbritannien kein Melderegister geführt werde.
3.
Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass sich die Angeklagten nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht haben. Es sieht in dem Umtausch der tschechischen Führerscheine eine Neuerteilung britischer Fahrerlaubnisse, die die Angeklagten gemäß § 28 Abs. 1 FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigen. Die Annahme, der Umtausch des Führerscheins sei eine Neuerteilung, werde, so das Amtsgericht, vor allem dadurch bestätigt, dass die britische Behörde die Gültigkeitsdauer der Fahrerlaubnis verlängert habe. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV würden in Bezug auf den britischen Führerschein nicht vorliegen, weil das mögliche Fehlen eines Wohnsitzes der Angeklagten in Großbritannien im Zeitpunkt der Ausstellung nicht aus dem Führerschein selbst hervorgehe und unbestreitbare aus Großbritannien stammende Informationen hierüber nicht vorliegen und nicht zu erlangen seien.
II.
Diese Feststellungen halten rechtlicher Überprüfung im Ergebnis nicht Stand.
1.
Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts, wonach ein von einem anderen Mitgliedstaat der EU ausgestellter Führerschein gemäß § 28 Abs. 1 FeV im Inland anzuerkennen ist, wenn nicht die Ausnahmeregelungen des § 28 Abs. 2 bis 4 FeV eingreifen. Bei der Beurteilung, ob die Ausnahme des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV vorliegt, bewertet das Amtsgericht den mit einer Verlängerung der Gültigkeitsdauer verbundenen Umtausch der Fahrerlaubnis zu Recht als Neuerteilung einer britischen Fahrerlaubnis und stellt deshalb auf aus Großbritannien stammende unbestreitbare Informationen zum Wohnsitz der Angeklagten ab.
a)
Ob der "Umtausch" eines Führerscheins eine Neuerteilung ist, ist allerdings umstritten.
Nach einer Auffassung (OLG Oldenburg, Urteil vom 19. September 2011 - 1 Ss 116/11, [...] Rn. 9; Geiger, DAR 2012, 381, 382; vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2011 - II-5 RVs 32/11, [...] Rn. 22 ff.) handelt es sich bei einem Umtausch nicht um die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, sondern um die Ausstellung eines neuen Dokuments, das die bisher erteilte Fahrerlaubnis ausweist. Diese Ansicht kann sich jedenfalls für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/126/EG auf die Auffassung der Europäischen Kommission (Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen über den Führerschein in der EG, ABl 2002 C 77, S. 16) und auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 29. Februar 1996 - C...