Leitsatz (amtlich)
1. Wird über das Vermögen einer GmbH, die Schuldverschreibungen ausgegeben hat, das Insolvenzverfahren eröffnet, steht die Befugnis zur Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung nach dem SchVG nicht mehr dem Geschäftsführer der Anleiheschuldnerin, sondern dem Insolvenzverwalter zu.
2. § 9 Abs. 1 SchVG regelt nicht., wer im Falle der Insolvenz einer GmbH als Anleiheschuldnerin für diese zur Einberufung der Anleihegläubigerversammlung berechtigt ist.
3. Der Geschäftsführer kann als Gesellschaftsorgan nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH nur noch solche Kompetenzen wahrnehmen, die nicht die Insolvenzmasse betreffen (Anschluss an BGH, Urteil vom 26.1.2006 - IX ZR 282/03, juris Rn. 6).
4. Die dem Geschäftsführer verbleibende Befugnis, Versammlungen zur Beschlussfassung einzuberufen, bezieht sich nur auf den innergesellschaftlichen Bereich.
5. Die Befugnis zur Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung ergibt sich nicht als Annexkompetenz der Schuldnerin zur Vorlage eines Insolvenzplans gemäß § 218 Abs. 1 InsO oder zum Antrag auf Einstellung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung aller Insolvenzgläubiger gemäß § 213 Abs. 1 S. 1 InsO.
6. § 19 Abs. 2 S. 1 SchVG 2009 regelt nur die Einberufung der ersten Gläubigerversammlung.
7. Beruft der Geschäftsführer einer insolventen GmbH eine Anleihegläubigerversammlung nach dem SchVG 2009 ein, verletzt er eine ihm gegenüber der GmbH obliegende Leistungstreuepflicht.
Normenkette
SchVG 2009 §§ 9, 19; InsO § 80 Abs. 1, § 213 Abs. 1 S. 1, § 218 Abs. 1; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 04.08.2016; Aktenzeichen 11 O 100/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil des LG Stuttgart vom 04.08.2016, Az. 11 O 100/16, abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Inhalt zulässig und begründet war:
Der Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bei Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren für den Zeitraum von sechs Monaten zu unterlassen, aus seiner Restkompetenz als Geschäftsführer eine Anleihegläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz einzuberufen.
Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen der Verfügungskläger zu 1/4 und der Verfügungsbeklagte zu 3/4.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des LG ist nur teilweise begründet. Nachdem der Verfügungskläger im Verhandlungstermin vor dem Senat am 6.12.2016 die Hauptsache für erledigt erklärt hat, war die eingeschränkte Erledigung festzustellen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig und begründet war, allerdings mit einer zeitlichen Befristung für einen Zeitraum von sechs Monaten. Soweit der Antrag des Verfügungsklägers darüber hinausgehend keine zeitliche Befristung vorsah, war er nicht begründet. Eine Erledigung ist insoweit nicht eingetreten.
I. Die Parteien streiten darüber, ob der Geschäftsführer einer insolventen GmbH, die Schuldverschreibungen ausgegeben hat, berechtigt ist, eine Anleihegläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) einzuberufen.
Der Verfügungskläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der W. GmbH (i. F. auch: Schuldnerin), deren Geschäftsgegenstand die Beteiligung an Unternehmen aller Art und die Förderung von regenerativen Energien, insbesondere von Windkraftprojekten war. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.12.2013 eröffnet. Mit Beschluss vom 10.12.2013 berief das Insolvenzgericht gemäß § 19 Abs. 2 SchVG eine Gläubigerversammlung für die Inhaber von der Schuldnerin ausgegebener Schuldverschreibungen auf den 13.1.2014 ein. Als Geschäftsführer der Schuldnerin berief der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 13.5.2016, im Bundesanzeiger veröffentlicht am 19.5.2016, eine Gläubigerversammlung gem. § 9 Abs. 1 SchVG auf den 31.5.2016 ein. Nach der Einladung sollte in der Versammlung u.a. ein Kaufangebot der A., Frankfurt, hinter der britische und chinesische Investoren stünden, für die Übernahme dreier Windkraft-Projekte zum Kaufpreis von 332 Mio. EUR erläutert werden. Der Verfügungskläger forderte den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 20.5.2016 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 23.5.2016 auf. Dieser bekräftigte mit Schreiben vom 25.5.2016 an die Anleihegläubiger, dass die Versammlung stattfinden werde.
Die Versammlung fand am 31.5.2016 statt. Eine weitere Gläubigerversammlung, zu welcher der Verfügungsbeklagte Anfang Juli 2016 einlud, wurde abgesagt.
Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des L...