Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung des Unternehmensgegenstands/Stimmverbot/Informationsrechte der Gesellschafter/Schuldrechtliche Nebenabreden und Beschlussanfechtung/Gesellschaftrechtliche Treuepflicht bei Ausgliederung von Unternehmensteilen

 

Leitsatz (amtlich)

1) Eine Änderung des Unternehmensgegenstands einer GmbH liegt nicht vor, wenn in der Satzung als Unternehmensgegenstand umschriebene Tätigkeitsbereiche weitgehend ausgegliedert werden, jedoch ein Teilbereich an operativer Tätigkeit verbleibt, dem nicht nur Alibi-Funktion zukommt.

2) Sieht eine Satzung die Möglichkeit vor, ganze Tätigkeitsbereiche allein mit den Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin auf eine Konzerngesellschaft oder gegen Anteilserwerb an der Übernehmergesellschaft zu übertragen, bedarf es der Einstimmigkeit auch dann nicht, wenn dadurch der Unternehmensgegenstand, für dessen Änderung grds. das Einstimmigkeitsprinzip gilt, tangiert und das Unternehmen insoweit zur Holding-Gesellschaft wird.

3 a) Die Mehrheitsgesellschafterin unterliegt keinem Stimmverbot bei Maßnahmen, bei denen ein Interessenkonflikt, i. S. von § 47 Abs. 4 GmbHG besteht, wenn die Satzung ihr ausdrücklich die alleinige Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der fraglichen Maßnahmen einräumt. Es ist dann von einer konkludenten Befreiung vom Stimmverbot auszugehen.

b) Bei Strukturänderungen körperschaftlichen Charakters besteht kein Stimmverbot.

c) Ein Stimmverbot für die Mehrheitsgesellschafterin besteht auch dann nicht, wenn ihr über einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag die Leitung der Gesellschaft übertragen ist.

4) Bei Strukturänderungen der Gesellschaft (hier: Ausgliederung wesentlicher Tätigkeitsbereiche gegen Übertragung von Anteilen an der Erwerbergesellschaft) steht den Gesellschaftern ein Informationsrecht zu, das dem bei Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz vergleichbar ist. Die maßgebenden Unterlagen über die geplanten Maßnahmen müssen ihnen spätestens mit der Einladung zur beschlussfassenden Gesellschafterversammlung zugeleitet werden.

5) Überträgt eine GmbH Tätigkeitsbereiche auf eine andere Gesellschaft und werden ihr als Gegenleistung Anteile an dieser eingeräumt, so besteht an diesen Anteilen kein Bezugsrecht der Gesellschafter.

6) Verstöße gegen unter den Gesellschaftern getroffene schuldrechtliche Nebenabreden, die außerhalb der Satzung getroffen werden, berechtigen nicht zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die schuldrechtliche Nebenverpflichtung keine konkreten Verhaltenspflichten bei genau umschriebenen Fragestellungen festlegt, sondern nur generalklauselartige Wohlverhaltenspflichten enthält.

7) Gehört zu einem im Wege der Sacheinlage übertragenen Teil eines Unternehmens ein mit einem Vorkaufsrecht belastetes Grundstück, so wird der Vorkaufsfall nicht ausgelöst. Anders verhält es sich nur, wenn die Konstruktion der Einbringung als Sacheinlage in sittenwidriger Weise zur Aushöhlung des Vorkaufsrechts gewählt wurde.

8 a) Beschließt eine Gesellschaft die Ausgliederung von Unternehmensteilen, um sie mit Tätigkeitsbereichen der Mehrheitsgesellschafterin in einer neuen Gesellschaft zusammenzuführen, an der sie und die Mehrheitsgesellschafterin entsprechend dem Wert der eingebrachten Teile beteiligt werden, so verstößt es gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, wenn die Mehrheitsgesellschafterin der Ausgliederung zu einem nicht angemessenen Gegenwert zustimmt und so die Gesellschaft nicht wertentsprechend an dem neuen Unternehmen beteiligt wird. Es besteht jedoch im Rahmen der Bewertung ein Beurteilungsspielraum.

b) Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Bewertung der jeweils einzubringenden Tätigkeitsbereiche durch ein Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsprüfer der beiden bewerteten Gesellschaften zugrundegelegt wird. Dies haben die unternehmerischen Planungsvorgaben kritisch zu prüfen, sie jedoch grds. zugrundezulegen und keine eigene Zukunftsplanung zu erstellen.

c) Bei der Bewertung nach dem Ertragswertverfahren kann es geboten sein, im Wesentlichen auf die Zukunftsplanung abzustellen und auf eine Vergangenheitsanalyse weitgehend zu verzichten.

 

Normenkette

GmbHG §§ 3, 47 Abs. 4, §§ 51a, 53; BGB §§ 504 ff.; AktG § 243

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Aktenzeichen 2 KfH O 1427/95)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ravensburg vom 07.02.1997

geändert:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zu ¼.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von je DM 125.000,– abwenden, sofern die Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Kläger:

20 Mio. DM.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Minderheitsgesellschafter der beklagten GmbH. Sie verfolgen die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise die Nichtigerklärung, zweier Gesellschafterbeschlüsse, die d...

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