Leitsatz (amtlich)
›1. Wird ein gesamtstrafenfähiges Urteil nach dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht im Wege des Urkundenbeweises verlesen, so liegt darin ein erwiesener Verfahrensfehler, der auch durch den Urteilsinhalt und eine dienstliche Äußerung des Vorsitzenden nicht ausgeräumt werden kann.
2. Der Protokollvermerk, eine Vorstrafe sei "erörtert" worden, beweist die Einführung des früheren Urteils in die Hauptverhandlung durch Vorhalt, wenn ein solcher nicht nach den Umständen ausgeschlossen war.‹
Verfahrensgang
LG Hechingen (Entscheidung vom 03.12.2002; Aktenzeichen 11 Ns 14 Js 4977/01) |
AG Hechingen (Entscheidung vom 01.03.2002; Aktenzeichen 5 Ls 27/01) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Hechingen hatte den Angeklagten am 1. März 2002 wegen gemeinschaftlichen Betruges unter Einbeziehung "des Strafbefehls des Amtsgerichts Albstadt vom 9. August 2000 und des Urteils des Amtsgerichts Hechingen vom 5. November 2001" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.
Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Hechingen in dem angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass die Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Albstadt entfiel. Auf die Berufung des Angeklagten hat es das Urteil des Schöffengerichts Hechingen im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 5. November 2001 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt wurde; seine weitergehende Berufung hat es verworfen.
Das Landgericht hat festgestellt:
Durch die wirksame Beschränkung der Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch sind die den Schuldspruch tragenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Hechingen vom 1. März 2002 bindend geworden. Danach hat der Angeklagte (auch) in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 30. Oktober 2000 mit der Mitangeklagten D. M. in eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt; aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes, der der Aufbesserung der beiderseitigen Finanzen diente, beantragte die Mitangeklagte M. Sozialhilfe für sich und ihre beiden vom Angeklagten abstammenden Kinder, wobei sie bewusst wahrheitswidrig behauptete, die eheähnliche Gemeinschaft mit dem Angeklagten bestehe nicht mehr. Der Angeklagte, der teils Arbeitslohn, teils Lohnersatzleistungen bezog, bestätigte mehrfach wahrheitswidrig die Beendigung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft, meldete sich von seiner Wohnanschrift bei der Mitangeklagten M. zum Schein ab und begründete einen Scheinwohnsitz bei einem türkischen Landsmann. Die so erschwindelte Sozialhilfe von etwa 70.000 DM verbrauchten die Angeklagten gemeinsam mit ihren Kindern.
II.
Die auf eine Verfahrensrüge und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist nicht begründet.
1. Die Revision rügt in der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form, § 261 StPO sei verletzt, da der Sachverhalt und die Strafzumessungserwägungen des mit seiner elfmonatigen Freiheitsstrafe nach § 55 StGB einbezogenen Urteils des Amtsgerichts Hechingen vom 5. November 2001 (4 Ds 35/01) bei der Frage der Strafaussetzung zum Nachteil des Angeklagten verwertet worden sei; dieses Urteil sei jedoch in der Berufungshauptverhandlung weder nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen worden noch Gegenstand des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO gewesen.
Die Verfahrensrüge ist nicht begründet.
a) Zu Recht weist die Revision zunächst darauf hin, dass der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer zu Beginn der Berufungshauptverhandlung zwar einen Bericht über das bisherige Verfahren erstattet (§ 324 Abs. 1 StPO) und dabei das erstinstanzliche Urteil im vollen Umfang verlesen hat, in dem die mit Urteil vom 5. November 2001 abgeurteilte Tat geschildert wurde. Danach hatte der Angeklagte am 27. Januar 2001 gegen 22.00 Uhr der Schwester der Mitangeklagten M. in deren Wohnung in B. ein Messer in den Bauch gestoßen, so dass diese eine 5 cm tiefe, stark blutende Wunde erlitt, die notärztlich versorgt werden musste.
Bei der Einbeziehung der hierfür verhängten elfmonatigen Freiheitsstrafe in die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 4 Monaten hebt das Landgericht bei der Bewährungsfrage hierauf zum Nachteil des Angeklagten ab.
Zu Recht vertritt die Verteidigung die Auffassung, dass in der - teilweisen und nur durch das erstinstanzliche Urteil vermittelten - Verlesung des Urteils vom 5. November 2001 keine förmliche Verlesung zu Beweiszwecken nach § 249 StPO gesehen werden kann. Seit dem StrafverfahrensänderungsG 1979 darf der Berufungsrichter die Verlesung ganz unterlassen, wenn die Verfahrensbeteiligten darauf verzichten und nicht etwa die Einführung rechtskräftig gewordener Feststellungen die Verlesung gebietet (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO). Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass die Verlesung der Gründe des erstinstanzlichen Urteils nic...