Leitsatz (amtlich)
1. Wechselt ein Versicherungsnehmer nach der Erstellung eines Heil- und Kostenplans den Krankenversicherer, ohne die dort vorgeschlagene Behandlung durchführen zu lassen, so stellt eine Jahre später aufgrund erneut aufgetretener Schmerzen durchgeführte Zahnbehandlung im selben Bereich einen neuen Versicherungsfall dar, der nicht wegen Vorvertraglichkeit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist.
2. Zum Verschweigen des nicht durchgeführten Heil- und Kostenplans beim Abschluss des neuen Versicherungsvertrages.
Normenkette
VVG § 19 Abs. 1; MB/KK § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 20.12.2010; Aktenzeichen 16 O 354/10) |
Tenor
1. Das Urteil des LG Stuttgart vom 20.12.2010 (16 O 354/10) wird in der Entscheidung zu Ziff. 2 wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Heilbehandlungskosten gemäß dem Heil- und Kostenplan Nr. 1/2822/3 des Zahnarztes Dr. P. K., R. str. 9, 7XXXX S. vom 19.3.2010 zu ersetzen.
2. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 100 % des vollstreckbaren Geldbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit i.H.v. 100 % des jeweils zu vollstreckenden Geldbetrags leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens:
Berufung: 80 % von 4.912,24 EUR = 3.929,79 EUR
Anschlussberufung: 17.315,34 EUR
insgesamt: 21.245,13 EUR
Gründe
I. Der Kläger hat mit formularmäßigem Neuantrag vom 23.12.2008 (vgl. Anl. K 3 = Bl. 8 - 10 d.A.) der Beklagten den Abschluss einer Kranken- und Pflegeversicherung in den Tarifen 11 (Krankenhaustagegeld), 37 (Krankentagegeld), PVN (Pflegepflichtversicherung) und K 300 (Komfortklasse unter Einschluss von Zahn-Heilbehandlungen) mit Wirkung ab 1.1.2009 angeboten, den diese durch Übersendung des Versicherungsscheins Nr. 100 ... mit der Maßgabe angenommen hat, dass durch den in der monatlichen Gesamtprämie von 412,27 EUR enthaltenen Zuschlag von 8,98 EUR Versicherungsschutz auch für die der Beklagten bekannten Zahnschäden bestehe (vgl. Anl. K 2 = Bl. 5/6 d.A.). Unstreitig einbezogen sind die zum 1.1.2009 angepassten Versicherungsbedingungen, wie sie in Anlage nach Bl. 21 d.A. vorgelegt worden sind.
Die im Antragsformular im Abschnitt "Gesundheitsangaben" unter Ziff. 11. a) gestellte Frage "Werden derzeit Zahnbehandlungen, Zahnersatzmaßnahmen, Behandlungen wegen Zahn- und Kiefnerregulierung oder Parodontose durchgeführt oder sind solche notwendig, angeraten oder beabsichtigt?" verneinte der Kläger.
Am 10.2.2010 begab sich der Kläger in die Behandlung seines Zahnarztes Dr. K., der erhebliche sanierungsbedürftige Schäden bei den Zähnen 47-45, 35-37 und 34 diagnostizierte. Am 22.3.2010 beantragte der Kläger die Genehmigung einer teils konservativen, teils prothetischen Behandlung der genannten Zähne, für die Dr. K. am 19.3.2010 einen Heil- und Kostenplan mit einem Kostenvolumen von 4.912,24 EUR erstellt hatte (vgl. Anl. K 5 = Bl. 12 d.A.).
Auf Nachfrage der Beklagten stellte sich heraus, dass Dr. K. bereits am 5.9.2006 einen Heil- und Kostenplan zur umfassenden Gebisssanierung unter Einschluss der oben bezeichneten Zähne erstellt hatte; unstreitig hat der Kläger seinerzeit jedoch keine dem Plan entsprechende Behandlung durchführen lassen. Vielmehr - dies ergibt sich aus den Auskünften Dr. K. vom 26.4.2010 (Anl. B 3 = Bl. 32 ff. d.A.), die dieser anlässlich seiner Zeugenvernehmung beim LG bestätigte und näher erläuterte (vgl. Bl 70 d.A.) - ließ es der Kläger bei einer Extraktion des Zahnes 16 und Wurzelkanalbehandlungen der Zähne 47, 37, 35, 45 und 23 bewenden, die wegen akuter Schmerzen im November 2005 eingeleitet und im August 2006 erfolgreich beendet wurden, so dass der Kläger ab dann wieder beschwerdefrei war.
Die Beklagte focht daraufhin ihre auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung an und erklärte darüber hinaus den Rücktritt vom Versicherungsvertrag.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag vom Jahresende 2008 ungeachtet des Rücktritts und der Anfechtung fortbestehe (Klageantrag Ziff. 1) und die Beklagte verpflichtet sei, die Kosten der im Heilbehandlungsplan vom 19.3.2010 ausgewiesenen Heilbehandlung i.H.v. voraussichtlich 4.912,24 EUR zu erstatten (Klageantrag Ziff. 2).
Wegen des Parteivorbringens sowie des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat dem Klageantrag Ziff. 1 stattgegeben, die Klage hinsichtlich des Antrags Ziff. 2 hingegen abgewiesen. Wegen der getroffenen Feststellungen und der angestellten rechtlichen Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen bisherigen Klageantrag Ziff. 2 in vollem...