Leitsatz (amtlich)
1. Eine Klausel bei einer Auslandskrankenrücktransportversicherung, die für den Versicherungsnehmer auch für Fälle von erheblichen Erkrankungen im Ausland nur einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen den Versicherer vorsieht, ist unwirksam, § 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Ein Versicherer verstößt mit einer solch einschränkenden Klausel in erheblichem Maße gegen den Zweck einer Rücktransportversicherung für den Fall der Erkrankung im Ausland, weil der Vertragszweck durch Einschränkung auf die bloße - nachträgliche - Kostenerstattungspflicht gefährdet ist (sog. Aushöhlung).
2. Eine zusätzliche Klausel bei einer Auslandskrankenrücktransportversicherung, die den Versicherungsanspruch davon abhängig macht, dass der Transport oder dessen medizinische Notwendigkeit von einer "ärztlichen Anordnung" oder einem "ärztlichen Attest" vor Beginn des Rücktransports als ärztlichen Nachweis abhängig ist, benachteiligt einen Versicherungsnehmer ebenfalls unangemessen gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB (Anschluss: OLG Saarbrücken VersR 2002, 837 f.).
3. Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass der Versicherer im Versicherungsfall auch die Organisation des Auslandskrankenrücktransportes schuldet.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 04.12.2012; Aktenzeichen 16 O 28/10) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stuttgart - 16 O 28/10 - vom 4.12.2012 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 45.000 EUR
Gründe
I. Die Berufung des Klägers wendet sich gegen ein Urteil des LG Stuttgart, mit dem seine Klage auf Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrag mit Auslandskrankenrücktransportversicherung abgewiesen wurde.
Am 22.3.2009 erlitt der Kläger auf den Philippinen einen Motorradunfall. Er zog sich hierbei Verletzungen am linken Bein, insbesondere eine Tibiakopffraktur am linken Knie, im Bereich seines linken Armes und im Rumpfbereich seiner linken Körperseite zu. Der Kläger ist mittlerweile vollständig auf die Philippinen umgezogen. In dem Versicherungsvertrag sind die "Versicherungsbedingungen für die Kranken- und Pflegeversicherung" (Anlage K 5, nach Bl. 63) unter Einschluss des "Tarif VE für ambulante, zahnärztliche und stationäre Heilbehandlung" (Anlage K 5, nach Bl. 63) einbezogen (AVB: "Druckstücknummer 01/2009").
Die Versicherungsbedingungen unter "Tarif VE" (Anlage K 5, nach Bl. 63) lauten auszugsweise wie folgt:
"4 Krankenrücktransport aus dem Ausland
4.1 Bei akut eingetretenen Krankheiten und Unfällen während eines vorübergehenden Auslandsaufenthaltes sind die Kosten eines medizinisch notwendigen Krankenrücktransportes einschließlich der Aufwendungen für eine Begleitperson nach folgenden Regelungen erstattungsfähig.
...
4.4 Die medizinische Notwendigkeit für den Krankenrücktransport besteht, wenn an Ort und Stelle bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung nicht gewährleistet und dadurch eine Gesundheitsschädigung zu befürchten ist. Dies muss durch ein vor Beginn des Krankenrücktransportes ausgestelltes ärztliches Attest nachgewiesen werden."
Der Kläger wurde am 25.3.2009 durch Dr. med. K. im Krankenhaus Capitol University Medical City in Cagayan de Oro City auf den Philippinen am linken Bein operiert, um die bicondyläre komplexe Tibiakopftrümmerfraktur mit mäßiger Dislokation und Impression operativ zu verbessern. Hierbei wurde Osteosynthesematerial (u.a. Platten) in das linke Knie eingebracht.
Am 25.3.2009, nach der Operation, verständigte der Kläger telefonisch die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau W., vom Motorradunfall und den dadurch eingetretenen Verletzungen. Die Beklagte schaltete daraufhin das Unternehmen R. A. mit dem Auftrag ein, die medizinische Notwendigkeit eines Rücktransports zu prüfen. R. A. wiederum schaltete den "M. Rückholdienst" mit der weiteren Prüfung ein. Beim M. Rückholdienst wurde die Prüfung der Auslandsrückholung mittels eines Krankenrücktransportes vom dortigen ärztlichen Leiter des Rückholdienstes, dem Zeugen Dr. med. H., bearbeitet.
Auf der Grundlage weiterer Telefongespräche von Dr. med. H. vom M. Rückholdienst mit Dr. K. berichtete Dr. med. H. der Beklagten per Telefax am 31.03., 01.04., 03.04., 06.04. und 7.4.2009 über den gesundheitlichen Zustand des Klägers. Dr. med. H. bezeichnete die medizinische Versorgung des Klägers weiterhin als adäquat (Anlagen B 2 bis B 7, nach Bl. 45).
Mit Telefaxbericht vom 8.4.2009 teilte eine weitere Ärztin des M. Rückholdienstes, die Zeugin Dr. K. (Orthopädin), der Beklagten mit, eine Repatriierung sei ab sofort ...