Leitsatz (amtlich)

1. Es ist nachlässig i.S.d. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO, wenn ein Unternehmer, der sich auf eine streitige Weisung des Bauleiters an seine Mitarbeiter auf der Baustelle beruft, bei einer überschaubaren Anzahl der in Betracht kommenden Mitarbeiter (hier: 3 bis 4) nicht bereits während des Verfahrens erster Instanz innerhalb seines Unternehmens nachforscht, ob diese eine solche Weisung bezeugen können.

2. Es liegt ein schuldhaft verspäteter Vortrag vor, der sowohl nach § 531 Abs. 2 ZPO als auch nach §§ 530, 520, 296 Abs. 1 ZPO als auch nach §§ 525 S. 1, 296 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen ist, wenn ein Bauunternehmer durch einfache Sichtprüfung erst während eines Ortstermins des Sachverständigen in zweiter Instanz feststellt, dass Bauteile, die seine Mitarbeiter nach bis dahin unstreitigem Vortrag nicht eingebaut hatten, von diesen tatsächlich teilweise eingebaut worden sind.

3. Dem Beschluss nach § 411a ZPO kommt die Bedeutung eines Beweisbeschlusses zu. Unterbleibt ein solcher Beschluss, obwohl das Gericht das in einem anderen gerichtlichen Verfahren erstellte Sachverständigengutachten ersichtlich verwerten will, tritt durch rügeloses Verhandeln gem. § 295 Abs. 1 ZPO der Verlust des Rügerechts ein.

4. Im Gesamtschuldnerausgleich zwischen dem Bauunternehmer, der Herstellerrichtlinien und den Stand der Technik bei der Bauausführung unbeachtet gelassen und deshalb grob fahrlässig ein mangelhaftes Werk hergestellt hat, und dem bauüberwachenden Architekten entfällt eine Mithaftung des Architekten jedenfalls dann nicht vollständig, wenn der Bauaufsichtsfehler einen besonders fehlerträchtigen Bauabschnitt betroffen hat.

 

Normenkette

BGB § 426; ZPO § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 296 Abs. 1-2, § 295

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 08.12.2009; Aktenzeichen 3 O 27/09)

 

Tenor

1. Auf die Anschlussberufung wird das Urteil des LG Tübingen vom 8.12.2009, Az: 3 O 27/09, abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 55.508,25 EUR zzgl. Zinsen aus diesem Betrag i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.3.2010 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte im gesamtschuldnerischen Innenverhältnis mit dem Kläger wegen Baumängeln an der Fassade des Geschäfts- und Wohngebäudes L. straße 126 und 128 in 72764 Reutlingen, die Gegenstand des Verfahrens 3 O 22/09 vor dem LG Tübingen waren, verpflichtet ist, den Kläger freizustellen bzw. weitere Zahlungen des Klägers an die Sch. & Partner GmbH auszugleichen und zwar hinsichtlich der veranlassten Sanierung der Putzanschlüsse an den 6 Fenstern und deren Leibungen im Format von 5,80 m × 0,80 m mit einer internen Haftungsquote von 1/4 und hinsichtlich der veranlassten Sanierung der Putzanschlüsse an die übrigen Fenster und deren Leibungen mit einer internen Haftungsquote von 2/3, soweit eine Inanspruchnahme des Klägers über die schon geleistete Zahlung von bisher 88.636,75 EUR erfolgt.

3. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen sowie die Anschlussberufung und Berufung zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 1/10 und der Beklagte 9/10. Bezüglich der Kosten des Rechtsstreits erster Instanz verbleibt es bei der Kostenentscheidung unter Ziff. 3 des Urteils des LG Tübingen vom 8.12.2009, Az: 3 O 27/09.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung jeweils i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen

Berufungsstreitwert

für Berufung und Anschlussberufung: bis 65.000 EUR

 

Gründe

I. Gegenstand des Verfahrens ist der Gesamtschuldnerausgleich zwischen dem Kläger als Architekten, der mit der Planung und der Objektüberwachung der Errichtung des Geschäfts- und Wohngebäudes L. straße und in Reutlingen beauftragt war, und dem Beklagten, der an dem Bauvorhaben die Fassaden- und Wärmedämmarbeiten ausgeführt hat. Dem Werkvertrag der Beklagten lag die VOB/B zugrunde.

Die Bauherrin rügte insbesondere im Bereich der größeren Fenster der Westfassade gravierende Mängel wie Putzabplatzungen, -abblätterungen, Rissbildungen und Wassereintragungen. Nach Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem LG Tübingen (AZ: 1 OH 5/05) erhob die Bauherrin gegen die Parteien des vorliegenden Verfahrens Klage, auf die hin das LG Tübingen am 8.12.2009 zum Aktenzeichen 3 O 22/09 ein Urteil verkündete, mit dem die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits teilweise als Gesamtschuldner und teilweise der Kläger des hiesigen Verfahrens allein zur Zahlung verurteilt wurden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die jetzigen Parteien teilweise gesamtschuldnerisch, teilweise der Kläger allein, zum Schadensersatz verpflichtet sind. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf S. 8 und 9 des Tatbestands des angegriffenen Urteils des LG Tübingen vom 8.12.2009 - 3 O 27/09, verwiesen. Das Urteil der Bauher...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?