Leitsatz (amtlich)
1. Ein Gesamtschuldverhältnis entsteht zwischen einem Architekten und einem Bauunternehmer, wenn beide zum Entstehen eines Mangels am Bauwerk beigetragen haben. Auf welche Weise der Mangel beseitigt wird, ist für das Entstehen einer Gesamtschuld unerheblich.
2. Beim Gesamtschuldner-Innenausgleich zwischen einem Architekten und einem Bauunternehmer richtet sich die Höhe nach den jeweiligen Verursachungsbeiträgen beider Gesamtschuldner, wobei jeweils diejenige Partei, die eine überwiegende Verursachung eines Mangels am Bauwerk durch die andere Partei behauptet, einen über den jeweiligen Kopf-teil hinausgehenden Verursachungsanteil des anderen Gesamt-schuldners zu beweisen hat.
3. Ein planerisches Mitverschulden ist im Gesamtschuldnerausgleich (nur dann) zu berück-sichtigen, wenn der Unternehmer das planerische Mitverschulden gegenüber dem Bauherrn nicht mit Erfolg eingewendet hat.
4. Im Verhältnis zwischen einem planenden und/oder überwachenden Architekten und einem Bauunternehmer gibt es keine Vermutung für ein Übergewicht eines bestimmten Verursachungsanteils (Planungsverschulden, Überwachungsverschulden oder Ausführungsverschulden). Vielmehr hat die Gewichtung der Haftungs- und Verantwortungsanteile unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles individuell zu erfolgen.
5. Die Festlegung der Haftungsverteilungsquote und damit die Bewertung und Gewichtung der einzelnen festgestellten Verursachungsbeiträge ist als Rechtsfrage vom Gericht eigenständig zu entscheiden. Grundlage hierfür können Ausführungen eines Sachverständigen zur Bedeutung eines Mitverursachungsanteils aus (bau-)technischer Sicht sein.
6. Die Verursachungsanteile der einzelnen Gesamtschuldner können mit einem Punktesystem ermittelt werden, das die Bedeutung des Verursachungsbeitrags im Bauablauf und für die Höhe des Schadens sowie den Grad des Verschuldens berücksichtigt.
Normenkette
BGB §§ 254, 426 Abs. 1-2, § 634
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Urteil vom 10.11.2017; Aktenzeichen Hä 8 O 203/14) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 10.11.2017, Az. Hä 8 O 203/14, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, den Kläger von 50 % der Aufwendungen und Schäden freizustellen, die künftig bei der fachgerechten Instandsetzung der Fassaden der Bauträgerobjekte G. bei den Anwesen K. - Straße 22, 24, 26 und K.- Weg 5 und 7 sowie K. - Straße 20 in W. noch entstehen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von120 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 52.970,53 EUR festgesetzt (Antrag Ziff. 1: 48.970,53 EUR; Antrag Ziff. 2: 4.000,00 EUR).
Gründe
I. Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege des gesamtschuldnerischen Innenausgleichs auf Zahlung von 48.970,53 EUR in Anspruch und begehrt darüber hinaus die Feststellung, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, den Kläger von darüber hinaus gehenden Aufwendungen und Schäden freizustellen.
Der Bauträger G. ließ auf den Grundstücken K. - Straße 20, 22, 24, 26 sowie K.- Weg 5 und 7 in W. Reihenhäuser errichten. Die Beklagte war hierbei mit der Ausführung der Außenputz- und Stuckateurarbeiten beauftragt, der Kläger als Architekt mit dem vollen Leistungsbild gemäß § 15 HOAI a.F.
Zwischen dem Bauträger und dem jetzigen Beklagten bestand ein VOB-Bauvertrag vom 06.04.2000 (B 1). Dem Vertrag lag ein vom jetzigen Kläger erstelltes Leistungsverzeichnis zugrunde (B 2). Die Bauarbeiten erfolgten im Jahr 2001.
An den Außenfassaden mehrerer der errichteten Gebäude kam es in der Folgezeit im Jahr 2002 zu Rissen in den Außenfassaden, die von den Eigentümern erstmals 2003 gegenüber dem Bauträger moniert wurden.
In einem Verfahren des OLG Stuttgart (Az. 10 U 100/13, vorangehend: Landgericht Stuttgart Az. 28 O 2/13, Beiakte zum vorliegenden Verfahren) waren der jetzige Kläger und der jetzige Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt worden, wegen der Putzrisse in den Fassaden an den Bauträger G. 20.000,00 EUR, weitere 67.226,80 EUR und weitere 2.118,44 EUR zu zahlen. Außerdem war die gesamtschuldnerische Verpflichtung der jetzigen Beklagten und des jetzigen Klägers festgestellt worden, dem Bauträger G. auch darüber hinaus gehende Aufwendungen und Schäden zu ersetzen, die durch eine fachgerechte Instandsetzung der Fassaden an den genannten Gebäuden künftig entstehen. In dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Senats war die gesamtschuldnerische Haftung der jetzigen Prozessparteien für die Putzschäden festgestellt w...