Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast des Frachtführers im Rahmen der Haftung wegen eines qualifizierten Verschuldens nach § 435 HGB bei Sendungsverlust im Bereich seines Versandlagers.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 21. Kammer für Handelssachen des LG Tübingen vom28.7.2005 (Az.: 21 O 65/04) abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert der Berufung: 17.156,09 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin ist Transportversicherer der, welche die Beklage mit dem Versand einer Palette mit kosmetischen Artikeln beauftragt hatte. Die Sendung geriet am 27.1.2003 im Gewahrsam der Beklagten in Verlust.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat der Klage ohne Beweisaufnahme stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin Klagabweisung beantragt.
Die Berufung macht geltend, das LG habe rechtsirrig ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten i.S.d. § 435 HGB angenommen. Die Beklagte hafte lediglich in Höhe eines Betrages von 1.190 EUR nach Ziff. 23.1.1 ADSp., welcher bereits bezahlt sei. Die Beklagte habe ihrer sekundären Darlegungslast in vollem Umfang genügt, während die Klägerin keinen Nachweis eines qualifizierten Verschuldens erbracht habe. Die Beklagte habe insb. zur generellen Organisation in ihrem Lager ausführlich vorgetragen und auch ausreichende Angaben zum konkreten Schadensablauf gemacht. Eine weitere, über den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten hinausgehende Substantiierung sei nicht geboten gewesen, da die sekundäre Darlegungslast lediglich das Informationsdefizit des Anspruchsstellers ausgleichen soll, damit dieser auf Grundlage der vom Gegner erhaltenen Informationen in die Lage versetzt wird, seiner Beweislast nachzukommen. Es sei unzulässig, vom bloßen Eintritt eines Schadens auf eine mangelhafte Organisation und damit ein qualifiziertes Verschulden zu schließen. Auf die Erforderlichkeit weiteren Vortrages habe das LG jedenfalls nicht in einer den § 139 ZPO genügenden Weise hingewiesen.
Selbst im Falle einer Haftung der Beklagten sei der geltend gemachte Schaden der Höhe nach nicht plausibel, da der zu ersetzende Warenwert des verloren gegangenen Gutes nach der Handelsrechnung lediglich 16.678,26 EUR betragen habe. Über den geltend gemachten 10%igen Aufschlag habe das LG überhaupt nicht entschieden. Die Entscheidungsgründe trügen den Urteilstenor insoweit nicht.
Die Beklagte beantragt: Unter Abänderung des Urteils des LG Tübingen vom 27.7.2005 wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin beantragt: Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie verweist insb. darauf, dass im Bereich des Wareneingangs bei der Beklagten keine nachvollziehbare Kontrolle stattfinde. Der Inhalt der Sendung werde nicht kontrolliert und die Palette habe auch keinen speziellen Platz im Auslieferungsbereich, der in irgendeiner Weise dokumentiert werde.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Niederlassungsleiter der Beklagten zu den räumlichen Gegebenheiten und der allgemeinen Organisation im Versandlager der Beklagten ergänzend angehört und den Zeugen zur Überwachung der streitgegenständlichen Sendung im Gewahrsam der Beklagen vernommen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Eine unbegrenzte Haftung der Beklagten wegen eines dem Vorsatz gleich stehenden leichtfertigen Verhaltens i.S.d. § 435 HGB ist nicht gegeben.
1. Die Voraussetzungen eines Anspruch aus übergegangenem Recht (§ 67 VVG bzw. § 398 BGB) auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus den §§ 425 Abs. 1, 429 Abs. 1, 435 HGB konnte die Klägerin nicht nachweisen. Der Senat gelangt aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht zu der Überzeugung, dass die Beklagte gem. § 435 HGB für den Verlust der Ware unbeschränkt haftet, weil dieser von ihr leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten werde, herbeigeführt wurde.
Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit i.S.d. §§ 435, 439 Abs. 1 S. 2 HGB erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine "Leute" in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein allerdings nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach ...