Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Berufung bei Entfall der Beschwer durch übereinstimmende Erledigungserklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie den in der Vorinstanz erhobenen und abgewiesenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiter verfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen Anspruch zur Entscheidung stellt, über den in erster Instanz nicht entschieden wurde (Abgrenzung OLG Brandenburg, Urteil vom 9. März 2022 - 4 U 36/21 und OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Februar 2022 - 19 U 309/21). (Rn. 19) (Rn. 21)
2. Eine bloße Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein (Anschluss BGH, Urteil vom 14. März 2012 - XII ZR 164/09). (Rn. 19)
3. Die Beschwer muss nicht nur im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vorliegen. Sie darf auch nicht vor Schluss der mündlichen Verhandlung entfallen sein. Eine alleine verbliebene Beschwer des Klägers im Kostenpunkt genügt nicht. (Rn. 19)
Normenkette
ZPO § 522 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 16.11.2020; Aktenzeichen 6 O 220/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 16.11.2020 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Parteien jeweils zur Hälfte, mit Ausnahme der vom Kläger zu tragenden Mehrkosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts Bremen entstanden sind. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 63% und die Beklagte 37%.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht jeweils der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert in beiden Instanzen: bis 30.000 EUR
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit und Folgen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags.
Sie schlossen im Oktober 2017 einen Darlehensvertrag (Anlage K1) über einen Nettodarlehensbetrag von 28.400,00 EUR zzgl. einer Anzahlung von 16.500,00 EUR sowie einer Laufzeit von 48 Monaten (48 Raten ab November 2017 á 195,58 EUR sowie einer Schlussrate im Oktober 2021 i.H.v. 22.001,00 EUR) zur Finanzierung des Kaufs eines Vorführfahrzeugs M. zu einem Preis von 44.900,00 EUR.
Mit Schreiben vom 28.06.2019 (Anlage K3) widerrief der Kläger seine Vertragserklärung. Nach Zurückweisung des Widerrufs wurde die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben vom 05.08.2019 aufgefordert, den Widerruf anzuerkennen.
Das Darlehen wurde im März 2021 während des Berufungsverfahrens vorzeitig vollständig zurückgeführt und das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 19.03.2021 zu einem Kaufpreis von 23.800,00 EUR veräußert (Anlage KL BB 4 eA OLG).
Mit seiner zunächst vor dem Landgericht Bremen erhobene Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die primären Leistungspflichten aus dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag auf Grund des erklärten Widerrufs erloschen seien. Mit Beschluss vom 03.08.2020 hat sich das Landgericht Bremen für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Stuttgart verwiesen (Bl. 98 f d.A.).
Im Übrigen wird bezüglich der weiteren Einzelheiten und der erstinstanzlichen Anträge auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen. Die Widerrufsinformation entspreche dem gesetzlichen Muster. Die weiteren gerügten Pflichtangaben seien ordnungsgemäß erteilt worden.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der an der Wirksamkeit des Widerrufs festhält, sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und die Erteilung weiterer Pflichtangaben, u.a. die Angaben zum Verzugszins gem. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB, erstmals als unzureichend beanstandet. Die Fahrzeugherausgabe sei dem Kläger infolge des Fahrzeugverkaufs unmöglich geworden.
Nachdem der Kläger mit seiner Berufung zunächst die erstinstanzlich erhobene negative Feststellungsklage unverändert weiterverfolgte (Bl. 51 d. eA. OLG), erklärte er diese mit Schriftsatz vom 19.09.2022 für erledigt und begehrte fortan die Rückzahlung auf das Darlehen geleisteter Zahlungen (letzter Berufungsantrag zu 1) sowie die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten (letzter Berufungsantrag zu 2). Die zunächst einseitig gebliebene Erledigungserklärung nahm er in der Berufungsverhandlung wieder zurück und erklärte den ursprünglichen Berufungsantrag sodann erneut für erledigt (Bl. 128, 134 d. eA. OLG).
Der Kläger beantragt in der Berufung zuletzt:
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.742,97 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.03.2021 zu zahlen,
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in ...