Leitsatz (amtlich)
Haftung eines Autofahrers für die Unfallverletzungen, die sich eine psychisch erkrankte Fußgängerin nachts auf der Fahrbahnmitte einer Landstraße zuzieht. Zur Beweislastverteilung hinsichtlich des Standortes der Fußgängerin unmittelbar vor der Kollision.
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 28.03.2003; Aktenzeichen 2 O 111/2002) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hechingen vom 28.3.2003 (2 O 111/02) wird mit der Maßgabe, dass eine Schadensabwägung im Rahmen der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 829 BGB vorbehalten bleibt, falls die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür eintreten sollten, zurückgewiesen.
II. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert: 251.520 Euro
Ziff. 1: Materielle Schäden: 107.520 Euro
Ziff. 2: Schmerzensgeld: 144.000 Euro.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihre materiellen und immateriellen Schäden, die sie am 5.6.1999 gegen 2.00 Uhr nachts auf der L.-Strasse 442 bei Kilometer 1,9 zwischen B.-W. und B.-R. bei einem Unfall erlitten hat, den der Beklagte Ziff. 1 als Fahrer des von der Beklagten Ziff. 2 gehaltenen und bei der Beklagten Ziff. 3 haftpflichtversicherten Pkw F. verursacht hat. Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vortrags beider Parteien in 1. Instanz und der von den Parteien dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 107 bis 109 d.A.) Bezug genommen.
Das LG hat die Feststellungsanträge nach Einholung eines schriftlichen, psychiatrischen Gutachtens (Bl. 72-76 d.A.) und eines das im Ermittlungsverfahren gegen die Beklagten Ziff. 1 und 2 (Staatsanwaltschaft Hechingen, Aktenzeichen 15 Js 6976/99) eingeholte technische Gutachten des Verkehrssachverständigen F. ergänzenden mündlichen Gutachtens (Protokoll v. 11.7.2002, Bl. 48-54 d.A.) des selben Sachverständigen voll umfänglich zuerkannt.
Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung greifen die Beklagten unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihrer erstinstanzlicher Argumente sowohl die Beweiswürdigung als auch die Rechtsausführungen des LG an. Es könne insbesonders nicht festgestellt werden, dass die Klägerin sich vor dem Unfall im Bereich der Fahrbahnmitte aufgehalten habe.
Sie beantragen, das Urteil des LG Hechingen vom 28.3.2003 (Aktenzeichen 2 O 111/02) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat in der Sitzung vom 10.11.2003 den Sachverständigen F. erneut ergänzend mündlich angehört. Auf das Protokoll (Bl. 213 ff. d.A.) wird verwiesen. Der Beklagte Ziff. 1 wurde zum Unfallhergang nochmals persönlich gehört. Die beigezogenen Akten des Ermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft Hechingen Aktenzeichen 15 Js 6976/99) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt vorgelegten Unterlagen sowie auf das Vorbringen in den mündlichen Verhandlungen 1. und 2. Instanz Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Der Senat nimmt im vollen Umfang Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und macht sich die dortigen Ausführungen zu eigen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
A. Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin hat das für ihre beiden Feststellungsanträge erforderliche Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO.
I. Die Klägerin ist nicht gehalten, hinsichtlich des bereits jetzt bezifferbaren materiellen Schadens bezifferte Zahlungsansprüche geltend zu machen.
Die Genesung der Klägerin nach dem Unfallereignis ist noch nicht abgeschlossen. So wird es ihr nach ihrem eigenen Vortrag unter glücklichen Umständen möglicherweise gelingen, das selbständige Gehen mit einem Hilfsgerät zu erlernen und dann den Rollstuhl zu verlassen, was auch Auswirkungen auf ihre seitherige Pflegebedürftigkeit haben dürfte.
Befindet sich ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvoller Weise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (BGH v. 30.3.1983 - VIII ZR 3/82, MDR 1983, 1018 = NJW 1984, 1552). Dann ist insgesamt eine Feststellungsklage zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte.
Der erstrebte Feststellungsanspruch ist auch geeignet, unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu führen. Denn von der Beklagten Ziff....