Leitsatz (amtlich)
›Grätscht ein Spieler von hinten mit gestrecktem Fuß gegen einen bereits mit dem Ball in Richtung Tor laufenden Gegner und dabei mit einer solchen Fußhaltung und Wucht, daß er diesen in Höhe des mittigen Wadenbeins trifft mit der Folge eines offenen Bruchs von Waden- und Schienbein mit Aussplitterung des Knochens nach vorne, dann läßt sich diese Aktion wegen ihres hohen Verletzungsrisikos auch dann nicht mehr als lediglich im Grenzbereich zwischen Härte und Unfairneß liegend entschuldigen, wenn der Angreifer dabei gemeint hatte, es bestehe noch eine realistische Chance, an den Ball zu kommen.‹
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 02.07.1999) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 02.07.1999 unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 33.270,69 zu bezahlen nebst 4 % Zinsen aus DM 25.000,00 seit 14.02.1998 und aus DM 8.270,69 seit 18.09.1998.
2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 14.02.1998 anläßlich des Fußballspiels FC G gegen VfL N künftig entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
II. Von den Kosten des Verfahren in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für das Berufungsverfahren: DM 59.610,74
Wert der Beschwer für den Kläger: DM 21.340,05
Wert der Beschwer für den Beklagten: DM 38.270,69
Gründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig und führt in der Sache auch zu einem Teilerfolg, weil ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach besteht, nicht aber in der geltend gemachten Höhe.
1. Nach ganz herrschender Meinung unterliegt die Haftung für Verletzungen bei einem Fußballspiel besonderen Voraussetzungen, um dadurch dem Umstand gerecht zu werden, daß hier alle Beteiligte einvernehmlich einen mit üblicherweise auch körperlichem Einsatz geführten Wettkampf betreiben, der - wie den Spielern auch bewußt ist - die erhöhte Gefahr der Zufügung gegenseitiger Verletzungen in sich birgt. Es muß daher zum einen ein (objektiver) Regelverstoß vorliegen und zum anderen bei der Frage, ob er schuldhaft begangen worden ist, die Besonderheit des Wettkampfsports berücksichtigt werden. Denn Hektik und Eigenart des Fußballspiels als blitzschnelles Kampfspiel fordern von dem einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er in Bruchteilen einer Sekunde Chancen abwägen und Risiken eingehen muß, um dem Spielzweck erfolgreich Rechnung zu tragen. Bei einem so angelegten Spiel darf der Maßstab für einen Schuldvorwurf nicht allzu streng bemessen werden. Liegt das regelwidrige Verhalten noch im Grenzbereich zwischen der einem solchen Kampfspiel eigenen gebotenen Härte und einer unzulässigen Unfairneß, so ist ein haftungsbegründendes Verschulden nicht gegeben (OLG Hamm, VersR 99, 1115 sowie VersR 98, 68 und 69, jeweils unter Bezugnahme auf BGH VersR 76, 591).
2. Der Regelverstoß ist erwiesen, im übrigen aber auch unstreitig. Denn der Beklagte hat bei seinem Hineingrätschen in die Laufrichtung des Klägers tatsächlich nicht den Ball getroffen, sondern den rechten Unterschenkel des Klägers in Höhe der Mitte des Schien- und Wadenbeins. Nach der für das ausgetragene Fußballspiel geltenden Regel 12 des Deutschen Fußballbundes - die auch für Freundschaftsspiele gilt - darf ein Spieler aber nur gegen den Ball, nicht gegen den Gegner treten.
Dieser Tritt ist - ebenso unstreitig - auch Ursache für die schwere Verletzung des Klägers gewesen. Damit steht fest, daß der Beklagte durch einen (objektiven) Regelverstoß die Körperverletzung des Klägers verursacht hat.
3. Bei der Frage des Verschuldens hat das Landgericht auf der oben dargestellten rechtlichen Grundlage zunächst zutreffend die Frage aufgeworfen, ob der Angriff des Beklagten darauf gerichtet war, den Ball zu treffen und dadurch der Kontrolle des ballführenden Klägers zu entziehen, dabei aber absichtslos fehlgegangen ist oder ob eine Spielsituation vorgelegen hatte, bei der es aus Sicht des Beklagten als aussichtslos erscheinen mußte, den Ball zu treffen und sein Angriff daher tatsächlich nur noch dem Kläger selbst gelten konnte in der Absicht, ihn dadurch an der weiteren Ballführung zu hindern (also schlagwortartig: Sollte - regelkonform - der Ball vom Gegner oder sollte - regelwidrig - der Gegner vom Ball getrennt werden). Dabei hat das Landgericht auch konsequent die Prüfung der Frage ins Zentrum seiner Feststellungen gestellt, ob der Kläger den Ball beim Angriff des Beklagten praktisch noch am Fuß oder aber bereits so weit vorgelegt hatte, daß die "Grätsche" des Beklagten gar keine realistische Chance mehr bieten konnte, den Ball zu treffen und deshalb nur noch geeignet gewesen war, den Kläger durch einen Tritt zu Fall zu bringen, ein Vorha...