Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Amtshaftung bei fehlerhafter Auswahl und unterbliebener Überwachung des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Amtspflichtverletzung bei Verwalterauswahl und -überwachung kommt nur bei groben Pflichtverstößen in Betracht.
2. Aus Vorstrafen kann kein absoluter Ausschließungsgrund abgeleitet werden. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Vorstrafe auf eine Ungeeignetheit oder Unzuverlässigkeit geschlossen werden kann.
3. Ob das Insolvenzgericht von den nach § 58 Inso eingeräumten Aufsichtsbefugnissen Gebrauch macht, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Eine regelmäßige Rechnungsprüfung muss nicht durchgeführt werden, da die Aufsicht die Insolvenzverwaltertätigkeit nicht unnötig erschweren und die Berufs- und Entschlussfreudigkeit des Verwalters nicht unnötig beeinträchtigen darf.
4. Beim AG musste kein eigenständiges Informationssystem geschaffen werden, um sicherzustellen, dass Anklagen gegenüber Rechtsanwälten zur Kenntnis der Insolvenzabteilung gelangen. Eine derartige Verpflichtung bestand nicht.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 11.10.2006; Aktenzeichen 15 O 460/05) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 15. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 11.10.2006 - Az. 15 O 460/05 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 60.000 EUR.
Tatbestand
I. Der Kläger nimmt das beklagte Land wegen angeblicher Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Veruntreuungen durch einen Insolvenzverwalter auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Firma r.-t. GmbH stellte am 28.11.2002 wegen drohender Zahlungsunfähigkeit beim AG E. einen Eigenantrag auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens. Am 29.11.2002 wurde der in E. ansässige Rechtsanwalt B. zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 28.1.2003 eröffnete das AG sodann das Insolvenzverfahren und ernannte Herrn B. zum Insolvenzverwalter.
Am 23.3.2005 erstattete der zwischenzeitlich vermögenslose Rechtsanwalt Selbstanzeige, weil er in verschiedenen Insolvenzverfahren Gelder veruntreut hatte. Im Fall der Firma r.-t. GmbH hatte er der Masse annähernd die gesamten liquiden Mittel (ca. 370.000 EUR) widerrechtlich entnommen. Außerdem hat er nach Darstellung des Klägers in weiteren Insolvenzverfahren ungefähr 430.000 EUR hinterzogen.
Rechtsanwalt B. war bereits mit Urteil des AG E. vom 10.11.1999 (Az. 1 (3) Cs 150 Js 27664/98) - damals als Geschäftsführer der Firma A. & Partner GmbH - zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden. Im Rahmen eines Befangenheitsverfahrens war auch der Direktor des AG mit diesem Strafverfahren befasst.
Der Kläger, der in der Zeit von 1972 bis November 2001 geschäftsführender Gesellschafter der Firma r.-t. GmbH war, hat beim LG die Meinung vertreten, die zuständigen Amtsträger der Insolvenzabteilung des AG hätten den Insolvenzverwalter unter Verletzung ihrer Amtspflichten bestellt und ferner pflichtwidrig nicht hinreichend überwacht, wodurch ihm als Insolvenzgläubiger ein erheblicher Vermögensschaden entstanden sei. Er hat dazu vorgetragen, er habe eine berechtigte Gesamtforderung von 700.000 EUR zur Tabelle angemeldet, die sich u.a. aus einer Pensionszusage der Insolvenzschuldnerin und aus Darlehensgewährungen ergebe. Die Quotenaussichten seien ursprünglich gut gewesen. Wegen der Veruntreuungen des Insolvenzverwalters müsse der Kläger nunmehr mit einem Totalausfall seiner Ansprüche rechnen. Für diese finanziellen Verluste müsse das beklagte Land einstehen. Rechtsanwalt B. habe wegen der strafrechtlichen Verurteilung nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden dürfen. In jenem Strafverfahren sei außerdem bekannt geworden, dass er Alkoholprobleme wie auch finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe. Dem zuständigen Insolvenzrichter sei bekannt gewesen, dass der Rechtsanwalt wegen Bankrotts verurteilt worden war. Falls er davon - wovon jedoch nicht auszugehen sei - keine Kenntnis gehabt habe, beruhe dies auf einem Organisationsverschulden der "Behördenleitung" und einer insoweit pflichtwidrig unterlassenen Information der Insolvenzabteilung. Der damalige Amtsleiter sei verpflichtet gewesen, seine Kenntnisse aus dem Befangenheitsverfahren weiterzuleiten. Man könne annehmen, dass er auch über den weiteren Verfahrensverlauf informiert gewesen sei. Sofern dies nicht der Fall gewesen sein sollte, liege auch darin ein haftungsbegründendes Organisationsverschulden. Es habe die Pflicht bestanden, dafür zu sorgen, dass die Insolvenzabteilung von dem Strafverfa...