Leitsatz (amtlich)
Erleidet ein Kind wegen ärztlicher Behandlungsfehler vor und unmittelbar nach der Geburt schwerste hypoxische Hirnschäden, die in einem Bereich liegen, der die denkbar schwerste Schädigung eines Menschen charakterisiert, rechtfertigt dies ein Schmerzensgeld von 500.000 EUR.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 29.11.2007; Aktenzeichen 3 O 179/2007) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Ravensburg vom 29.11.2007 - 3 O 179/07 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 350.000 EUR.
Gründe
A.I. Der am 18.3.1998 im K. krankenhaus geborene Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen eines Geburtsschadens geltend. Rechtsnachfolger des Trägers der Geburtsklinik ist die Beklagte.
Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig. Die Parteien streiten alleine um die Höhe des Schmerzensgeldes und die Verjährung eines Teiles der materiellen Schadensersatzansprüche.
Die Mutter des Klägers wurde am Abend des 18.3.1998 gegen 19.10 Uhr in das K. krankenhaus zur Entbindung aufgenommen. Ab 19.16 Uhr erfolgte eine CTG-Kontrolle. Nach einem Blasensprung um 19.30 Uhr begab sich die Mutter um 19.35 Uhr in eine Gebärwanne. Ab diesem Zeitpunkt wurde nur noch eine externe Herzton-Kontrolle aber keine Wehenableitung mehr durchgeführt. Um 20.05 Uhr wurden die Herztöne des Kindes mit einer Frequenz von unter 60/min bradycard. Das Kind erholte sich auch um 20.10 Uhr noch nicht. Um 20.15 Uhr verließ die Mutter die Gebärwanne und wurde in den Kreißsaal gebracht, wo nach Einsetzen der Presswehen eine Vakuumextraktion vorbereitet wurde. Erst um 20.30 Uhr erholte sich das Kind dann etwas. Um 20.55 Uhr lag die Frequenz der kindlichen Herztöne bei 150/min. Um 21.00 Uhr wurde der Kläger spontan geboren. Er war zyanotisch und atmete und bewegte sich nicht. Die APGAR-Werte lagen bei 1-2-2. Bis 21.15 Uhr wurde er über eine Maske beatmet, bevor er intubiert wurde. Um 21.20 Uhr setzte die Spontanatmung des Klägers ein, um 21.30 Uhr die Spontanmotorik. Nach dem Eintreffen des Kinderarztes um 22.15 Uhr wurde der Kläger extubiert und um 22.40 Uhr in die (Name der Klinik) nach (Ort) verlegt.
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. Dr. H. in seinem Gutachten vom 15.9.1999 (Anlage K 1) stehen folgende Behandlungsfehler unstreitig fest: Fehlerhaft war es, bei der sich in der Gebärwanne befindenden Kreißenden die Wehentätigkeit nicht abzuleiten. Dadurch war es nicht möglich, die für die Geburtsleitung wichtige Zuordnung zwischen fetaler Herzfrequenz und Wehenverlauf zu kontrollieren. Wäre dies erfolgt, hätte die Bradykardie vermieden bzw. abgekürzt werden können. Außerdem hätte die Gebärende beim Abfallen der Herzfrequenz sofort aus der Gebärwanne herausgenommen werden müssen. Eine wegen der anhaltenden Bradykardie zur Prüfung einer vorzeitigen Geburtsbeendigung erforderliche Fetalblutanalyse wurde nicht durchgeführt. Unmittelbar nach der Geburt wurde behandlungsfehlerhaft kein Nabelschnurblut entnommen, so dass der Säure-Basen-Status nicht bestimmt und keine Aussage zu Schwere und Dauer des intrauterinen Sauerstoffmangelzustandes getroffen werden konnte. Schließlich wurde der Kläger zu lange vergeblich mittels Maske beatmet und zu spät intubiert.
Diese Behandlungsfehler führten - unstreitig - zu schwersten körperlichen und geistigen Schäden. Der Kläger leidet an einer schweren spastischen Tetraparese sowie einer therapieresistenten Epilepsie mit bis zu 15 epileptischen Anfällen täglich. Hinzu gekommen ist inzwischen auch eine hirnorganische Blindheit. Ein Reflux, unter dem der Kläger ebenfalls litt, konnte operativ behoben werden. Der Kläger ist bei allen wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens dauerhaft und ausschließlich auf fremde Hilfe angewiesen. Nur weil er regelmäßig von seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Geschwistern gefüttert wird, war eine Umstellung auf Sondenernährung bislang nicht erforderlich. Die motorische Entwicklung entspricht dem Stand eines drei bis vier Monate alten Kindes, die geistige Entwicklung nicht einmal einem Kind dieses Alters. Es ist so gut wie keine Kommunikation mit dem Kläger möglich, nur zu Schmerzbekundungen ist er in der Lage. Er kann aber weder lachen noch weinen. Seine Familie vermag zu erkennen, wenn er zufrieden ist oder sich freut. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich die Situation künftig nicht verbessern lassen.
Die Beklagte hat ein Schmerzensgeld i.H.v. 153.387,56 EUR (300.000 DM) bezahlt. Der Kläger fordert dagegen ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 500.000 EUR und macht den Differenzbetrag i.H.v. 346.612,44 EUR im vorliegenden Rec...