Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass der Teilnehmer einer Motorradreise bei einer geführten Motorradtour stürzt und sich verletzt, ist für sich nicht geeignet, eine mangelnde Eignung der Reise für den gewöhnlichen Nutzen oder eine Abweichung der Reise von der üblichen Beschaffenheit im Sinne von § 651i Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB zu begründen.
2. Bei einer geführten Motorradtour besteht zwischen dem Fahrverhalten eines der Gruppe vorausfahrenden Tourguides und dem Sturz eines ihm folgenden Gruppenmitglieds dann kein haftungsbegründender Zusammenhang, wenn das Gruppenmitglied, um mit dem Tourguide mitzuhalten, gegen das Gebot verstößt, nur so zu schnell zu fahren, dass er das Motorrad ständig beherrscht, obwohl er sich jederzeit in eine andere Gruppe mit einem langsamer fahrenden Tourguide hätte zurückfallen lassen können.
Normenkette
BGB §§ 651i, 651n
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 13.01.2023; Aktenzeichen 3 O 126/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 13.01.2023, Az. 3 O 126/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 112.164,09 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht.
1. Die Klägerin ist ein Versicherungsunternehmen. Der Geschädigte T. S. hatte mit der Klägerin einen Krankenversicherungsvertrag geschlossen.
Die Beklagte zu 1) veranstaltet Motorradreisen. Der Beklagte zu 2) ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) und im Rahmen der von der Beklagten zu 1) veranstalteten Motorradreisen als Tourguide tätig.
Zur Bekanntmachung ihrer Angebote unterhielt die Beklagte zu 1) eine Website. Auf der Startseite machte sie dabei unter anderem folgende Angaben:
"Motorradreisen mit Tourguide
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Seit 2014 organisieren wir geführte Motorradtouren im Süden von Europa. Mit über 30 Jahren Erfahrung im Rennsport und Motorradverkauf möchten wir unsere Begeisterung auf den schönsten Straßen und Landschaften Europas weitergeben.
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Wir fahren in kleinen Gruppen à 6 Personen, von entspannt bis sportlich. Ein Gruppenwechsel ist jederzeit möglich, entscheidend ist das Fahren in Deinem persönlichen Wohlfühlbereich [...]"
Am 08.01.2019 buchte der Geschädigte bei der Beklagten zu 1) eine Motorradreise in Kroatien im Zeitraum 15.09.2019 - 22.09.2019. Die angebotene Reise umfasste den Motorradtransport nach Rijeka und zurück, sieben geführte Touren und sieben Übernachtungen mit Frühstück.
Nach dem Eintreffen des Geschädigten in Rijeka wurden er und die anderen (zunächst) 17 Reiseteilnehmer aufgefordert, sich einer von drei Gruppen anzuschließen, in denen die Touren unternommen werden sollten. Der ersten Gruppe sollten die leistungsstärksten Motorradfahrer, der zweiten und dritten Gruppe die weniger leistungsstarken Motorradfahrer angehören. Der Geschädigte ordnete sich der ersten Gruppe zu, als deren Tourguide der Beklagte zu 2) fungierte.
In der Folge unternahmen die Reiseteilnehmer sechs Touren, bei denen der Geschädigte jeweils in der ersten Gruppe mitfuhr. Die siebte und letzte Tour am 21.09.2019 führte zunächst nach Karlobag und von dort über die Staatsstraße 25 nach Gospic. Nach einer Pause in einem Ausflugslokal in Gospic sollte die Tour auf der Staatsstraße 25 wieder zurück nach Karlobag und von dort weiter führen.
Auf dem Weg von Gospic nach Karlobag fuhr die erste, vor den anderen beiden anderen Gruppen gestartete Gruppe in der Reihenfolge B...