Leitsatz (amtlich)

1. Die strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen (Anschluss an BGH, 27. Juli 2017, 3 StR 57/17, NJW 2017, 3667).

2. Wird durch eine nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB tatbestandsmäßige Handlung die Totenehre mehrerer Personen verletzt, so ist regelmäßig Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB im Sinne gleichartiger Idealkonkurrenz anzunehmen, da höchstpersönliche Rechtsgüter betroffen sind und die Strafnorm des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB individualschützenden Charakter hat.

 

Normenkette

VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 9; StGB §§ 52, 56; VStGB § 8 Abs. 6 Nr. 3

 

Tenor

Der Angeklagte wird wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen in sechs tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von

einem Jahr und sechs Monaten

verurteilt.

Die Vollstreckung der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

Überblick

Das dem Urteil zugrundeliegende Verfahren richtet sich gegen einen ehemaligen Mannschaftssoldaten der irakischen Armee, der ab Juli 2015 in der etwa 250 km nordwestlich von Bagdad gelegenen Stadt Baidschi eingesetzt war. Im Rahmen dieses Einsatzes kam es Mitte Juli 2015 in Baidschi zu einem Gefecht zwischen angreifenden Kämpfern des sog. "Islamischen Staats" (IS) einerseits und irakischen Streitkräften sowie verbündeten schiitischen Milizen andererseits, wobei der Angriff des IS von den irakischen Streitkräften und ihren Verbündeten abgewehrt werden konnte.

Nach dem Ende des Gefechts, an dem der Angeklagte nicht teilgenommen hatte, ließ sich dieser, wie andere Soldaten und Milizionäre auch, in gelöster und triumphierender Stimmung vor sechs im Zusammenhang mit dem Gefecht vom Körperrumpf abgetrennten und in fußläufiger Entfernung vom Kasernengebäude auf der Erde aneinandergereihten Köpfen getöteter IS-Kämpfer fotografieren. Durch seine "Siegerpose" verhöhnte und erniedrigte der Angeklagte die verstorbenen Gegner und verletzte hierdurch bewusst und gewollt ihre auch über den Tod hinausreichende Ehre. Zu den Umständen der Tötung und Verstümmelung dieser IS-Kämpfer vermochte der Senat keine weitergehenden Feststellungen zu treffen.

Der Angeklagte, der im Oktober 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam, speicherte das Foto spätestens im Frühjahr 2016 dauerhaft auf seinem Mobiltelefon. Als es im November 2016 in einer Unterkunft in G. mit einem afghanischen Flüchtling wegen dessen deutscher Freundin zu einer Auseinandersetzung kam, zeigte er das Foto seinem Kontrahenten und drohte diesem zugleich an, "dasselbe" mit ihm zu machen.

I.

(Feststellungen zur Person)

1. Schulzeit und Ausbildung

Der heute 24-jährige ledige Angeklagte wurde in dem schiitisch geprägten Stadtteil S. im Norden Bagdads im Irak geboren. Er wuchs in einer kinderreichen Familie mit fünf Schwestern und sieben Brüdern auf. Die Familie, die ihre Wurzeln in der 150 km südlich von Bagdad gelegenen Stadt K. hat, lebte im Wesentlichen von den Erträgen aus der vom Vater betriebenen Autowerkstatt, in der auch die Söhne aushalfen und angelernt wurden.

Der Angeklagte besuchte insgesamt neun Jahre die Schule. Einer sechsjährigen Grundschulzeit folgte der dreijährige Besuch der weiterführenden "Mittelschule", die der Angeklagte mit entsprechendem Abschluss verließ, als er 16 Jahre alt war. Auch nach dem Schulabgang arbeitete der Angeklagte zunächst weiter in der väterlichen Werkstatt. Seine Vorstellung ging weniger dahin, eine Ausbildung zu absolvieren, als vielmehr schnell Geld zu verdienen und später eine Familie zu gründen. Er ging daher verschiedenen Gelegenheitsbeschäftigungen nach, um sich ein Zubrot zu verdienen. So war er für etwa zwei Jahre - ohne allerdings im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein - als Taxifahrer angestellt. Darüber hinaus versuchte er - letztlich vergeblich - auch als selbstständiger Autohändler Fuß zu fassen. Schließlich war er für wenige Wochen in einer Bäckerei beschäftigt, in der er lernte, Brot zu backen.

2. Freiwilliger Militärdienst (2013 bis 2015)

Anfang 2013 meldete sich der Angeklagte über das Internet freiwillig zum Militär, da ihm sein bisheriger Verdienst nicht ausreichte. Dienstort des Angeklagten war das etwa 30 km westlich von Bagdad gelegene Abu Ghuraib, in unmittelbarer Nähe des 2014 geschlossenen ehemaligen Zentralgefängnisses. Der Angeklagte durchlief zunächst eine dreimonatige Grundausbildung, in der er mit den soldatischen Gepflogenheiten vertraut gemacht und im Umgang mit Waffen geschult wurde. In der Folgezeit war der Angeklagte in der Bäckerei seiner Einheit eingesetzt, ohne zu Kampfeinsätzen herangezogen zu werden. Im September 2014 desertierte der Angeklagte - wie eine Reihe anderer Soldaten auch - aus Unlust oder, wie er angab, weil ihm das Militär "nicht gutgetan" habe.

In den folgenden zehn Monaten blieb der Angeklagte ...

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