Entscheidungsstichwort (Thema)
Kaufvertrag über ein vom sogenannten Abgasskandal betroffenes Fahrzeug: Anspruch auf Restschadenersatz nach Eintritt der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei § 852 BGB handelt es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage auf Ersatz eines Restschadens durch Abschöpfung des Vermögensvorteils des Schädigers, der nicht dadurch bereichert bleiben soll, dass der Geschädigte den Ersatzanspruch verjähren ließ. (Rn. 52)
2. Selbst wenn durch ein Softwareupdate Abschalteinrichtungen wie ein Thermofenster und eine Fehlfunktion des OBD-Systems installiert worden wären und es sich dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen handeln würde, ist einem Fahrzeugkäufer durch sie weder ein neuer Schaden entstanden, noch wurde der alte vertieft, wenn der Schaden im Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags zu sehen ist. (Rn. 56)
3. Der Hersteller hat den auf Kosten des Käufers erlangten Kaufpreis, soweit er ihm nach Abzug der Herstellungskosten und der Händlermarge verblieb, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben. (Rn. 61)
Normenkette
BGB §§ 31, 195, 199, 212 Abs. 1 Nrn. 1-2, §§ 249, 826, 852; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 1, 12 S. 2; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Rottweil (Urteil vom 02.12.2020; Aktenzeichen 3 O 213/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 02.12.2020, Az. 3 O 213/20, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, 2.650 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 30.07.2020 an den Kläger zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan, Fahrzeugidentifikationsnummer ....
2. Im Übrigen werden die Klage ab- und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 90 % und die Beklagte 10%.
4. Dieses und das angegriffene Urteil, soweit es aufrecht erhalten bleibt, sind vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Gegner zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird hinsichtlich der Frage zugelassen, welche Positionen zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs zu berücksichtigen sind.
Den Streitwert der Berufung hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2021 im Einverständnis mit den Parteivertretern auf bis 30.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger kaufte im Mai 2014 von einem Autohaus einen im Juli 2014 gelieferten, neuen, vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Pkw Tiguan Sport & Style BM Techn. 2,0 I TDI 103 kW (140 PS) 6-Gang, Fahrzeugidentifikationsnummer ..., der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet ist. Den Kaufpreis i. H. v. 32.232,41 EUR zahlte er in bar an die Verkäuferin (Anl. Bl. I 22 der Akte).
Mit der Beklagten am 29.07.2020 zugestellten Klage (Bl. I 43 f. der Akte) begehrt der Kläger im Wesentlichen Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs. Mit Anwaltsschriftsatz vom 13.07.2020 (Bl. I 34 f. der Akte) forderte er die Beklagte unter Beifügung eines Entwurfs der Klageschrift zur Zahlung der Klageforderung auf.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung des Anspruchs abgewiesen. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe nach Erhalt der Halterinformation über die Betroffenheit des Fahrzeugs von der Umschaltsoftware im Februar 2016 jedenfalls Ende 2016 begonnen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger den Klaganspruch in vollem Umfang weiter. Den Anspruch hält er deswegen für nicht verjährt, weil die Beklagte den Anspruch erst im Jahr 2017 durch Aufspielung des Software-Updates anerkannt habe. Überdies handele es sich bei dessen Installation um eine behördliche Vollstreckungsanordnung bzw. -handlung, weswegen die Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 ZPO neu begonnen habe.
Auch sei mit dem Software-Update eine neue, unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters, einer Aufwärmfunktion sowie einer OBD-Manipulation installiert worden, wodurch jeweils ein neuer Schaden entstanden bzw. vertieft worden sei.
Zudem gelte nach § 852 BGB eine - noch laufende - 10-jährige Verjährungsfrist.
Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 16.03.2021 (Bl. II 19 ff. der Akte),
1. die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Kläger und Berufungskläger 27.131,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan, Fahrzeugidentifikationsnummer ...;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte und Berufungsbeklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW Tiguan, Fahrzeugidentifikation...