Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB nach der Verjährung eines Anspruchs aus § 826 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Käufer eines bewusst mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen, direkt von der Herstellerin erworbenen Neufahrzeugs steht nach Verjährung seines Anspruchs aus § 826 BGB ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB zu.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 852

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 10.09.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz, weil die Motorsteuerung ihres PKW manipulierend auf den Stickoxidausstoß einwirkte.

Die Klägerin bestellte am 21.09.2011 einen neuen VW Tiguan 2,0l TDI bei der X GmbH zu einem Preis von 35.792,70 EUR (Anlage K 50, AB). Der PKW ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung erkannte, wenn sich der PKW auf einem Abgas-Prüfstand befand. Der Motor lief dann in einem Modus 1, wobei es zu einer erhöhten Abgasrückführung und dadurch zu einem geringeren Stickoxidausstoß kam. Im normalen Straßenverkehr wurde in einen Modus 0 mit einer geringeren Abgasrückführung und einem dadurch höheren Stickoxidausstoß umgeschaltet. Auf Verpflichtung durch das Kraftfahrt-Bundesamt entwickelte die Beklagte Updates zur Beseitigung der Umschaltung, die auf die Motorsteuerungen der betroffenen Fahrzeuge aufgespielt wurden.

Die Beklagte teilte am 22.09.2015 in einer ad-hoc-Mitteilung und einer Presseerklärung mit, dass Millionen Fahrzeuge der Konzernmarken mit einer von dem Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Software ausgestattet waren. In einer Presserklärung vom 15.10.2015 teilte sie mit, dass die betroffenen Fahrzeuge vom Kraftfahrt-Bundesamt zurückgerufen worden waren. In einer Presseerklärung vom 15.11.2015 stellte sie das zur Entfernung der Abschalteinrichtung entwickelte Update vor. Die Beklagte und ihre Tochtergesellschaften richteten im Oktober 2015 Internetseiten ein, auf denen Halter durch Eingabe der FIN prüfen konnten, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen war, und machten dies durch Pressemitteilungen bekannt. Die Beklagte unterrichtete noch im Jahr 2015 das Händlernetzwerk über die Manipulation. Über alle diese Umstände wurde umfangreich in allen Medien berichtet. Ab Februar 2016 versandte die Beklagte an die Halter Schreiben, in denen sie darüber informierte, dass ihr Fahrzeug von der beanstandeten Software betroffen war.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Die Klägerin hat die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 35.782,70 EUR nebst Zinsen abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des PKW sowie weiterer 1.492,05 EUR und die Feststellung des Annahmeverzuges begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe bereits im Jahr 2015 aufgrund der umfangreichen Berichterstattung Kenntnis von der Abschalteinrichtung und allen anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt. Spätestens seit 2016 habe sie aufgrund des Informationsschreibens Kenntnis gehabt.

Sie habe durch den Einbau der Abschalteinrichtung eine Ersparnis erlangt, die sich auf ca. 93,00 EUR belaufe. Der Gewinn je Fahrzeug sei nicht feststellbar, betrage jedoch jedenfalls unter 600,00 EUR.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen zur Zahlung von 16.829,46 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch aus § 826 BGB zu, der jedoch teilweise verjährt sei. Teilweise sei der Anspruch nach § 852 BGB nicht verjährt. Die Beklagte habe den Kaufpreis auf Kosten der Klägerin erlangt. Diese habe das Fahrzeug als Neuwagen bestellt. Der Verkauf sei im Namen der Beklagten erfolgt. Die Vorschrift sei nicht aufgrund der Möglichkeit, sich der Musterfeststellungsklage anzuschließen, teleologisch zu reduzieren. Dem Schädiger sollten auch nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs die Vorteile der Tat entzogen werden. Es sei nicht ersichtlich, dass das nur der Fall sein solle, wenn die Erhebung der Klage in der Verjährungsfrist mit Risiken verbunden sei oder der Geschädigte alles unternommen habe, die Verjährung zu hemmen. Die Höhe des Anspruchs sei durch die Höhe des Schadensersatzanspruchs begrenzt. Daher müsse die Klägerin das Fahrzeug Zug um Zug übereignen. Von dem erlangten Kaufpreis seien die Nutzungsvorteile mit 18.953,24 EUR abzuziehen. Der Rest sei weniger als das, was die Beklagte abzüglich Händlermarge und Umsatzsteuer erhalten haben müsse.

Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt sie im Wesentlic...

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