Entscheidungsstichwort (Thema)
Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB nach der Verjährung eines Anspruchs aus § 826 BGB
Leitsatz (amtlich)
Dem Käufer eines bewusst mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Neufahr-zeugs kann nach Verjährung seines Anspruchs aus § 826 BGB ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB zustehen. Das gilt auch dann, wenn das Fahrzeug bereits zugelassen war, aber nicht genutzt wurde.
Normenkette
BGB §§ 826, 852
Tenor
Die Berufungen der Parteien gegen das am 25.05.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 56 % und die Beklagte 44 %.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für die andere Partei vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob und ggf. in welcher Höhe einem Käufer eines mit einer unter Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts implementierten unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nach der Verjährung seiner deliktischen Ansprüche ein Anspruch aus § 852 BGB zusteht.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz, weil die Motorsteuerung ihres PKW manipulierend auf den Stickoxidausstoß einwirkte.
Die Klägerin kaufte am 31.08.2012 einen Škoda Fabia 1,6 TDI von der X UG als "Jahreswagen/Jungwagen" zu einem Preis von 13.455,00 EUR. Das Fahrzeug war am 01.05.2012 erstmals zugelassen worden (Anlage K 1, Bl. 63 - 64 d. A.). Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung (Prot. v. 13.04.2021, S. 2, Bl. 324 d. A.) zum Zweck der Berechnung der Fahrleistung einen Kilometerstand von 0 bei der Auslieferung an die Klägerin unstreitig gestellt.
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung erkannte, wenn sich das Fahrzeug auf einem Abgas-Prüfstand befand. Der Motor lief dann in einem Modus 1, wobei es zu einer erhöhten Abgasrückführung und dadurch zu einem geringeren Stickoxidausstoß kam. Im normalen Straßenverkehr wurde in einen Modus 0 mit einer geringeren Abgasrückführung und einem dadurch höheren Stickoxidausstoß umgeschaltet. Auf Verpflichtung durch das Kraftfahrt-Bundesamt entwickelte die Beklagte Updates zur Beseitigung der Umschaltung, die auf die Motorsteuerungen der betroffenen Fahrzeuge aufgespielt wurden.
Die Beklagte teilte am 22.09.2015 in einer ad-hoc-Mitteilung und einer Presseerklärung mit, dass Millionen Fahrzeuge der Konzernmarken mit einer von dem Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Software ausgestattet waren. In einer Presserklärung vom 15.01.2015 teilte sie mit, dass die betroffenen Fahrzeuge vom Kraftfahrt-Bundesamt zurückgerufen worden waren. In einer Presseerklärung vom 15.11.2015 stellte sie das zur Entfernung der Abschalteinrichtung entwickelte Update vor. Die Beklagte und ihre Tochtergesellschaften, u. a. die ŠKODA AUTO Deutschland GmbH, richteten im Oktober 2015 Internetseiten ein, auf der Halter durch Eingabe der FIN prüfen konnten, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen war, und machten dies durch Pressemitteilungen bekannt. Die Beklagte unterrichtete noch im Jahr 2015 das Händlernetzwerk über die Manipulation. Über alle diese Umstände wurde umfangreich in allen Medien berichtet. Ab Februar 2016 versandte die Beklagte an die Halter Schreiben, in denen sie darüber informierte, dass ihr Fahrzeug von der beanstandeten Software betroffen war.
Mit dem Update wurde ein sog. Thermofenster in die Motorsteuerung implementiert. Dieses steuert die Rate der Abgasrückführung abhängig u. a. von der Außentemperatur. Am 14.09.2020 erfolgte ein Rückruf von Fahrzeugen des Typs VW EOS nach dem Update wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 12.11.2020 (Anlage K 19, Bl. 124 - 128 d. A.) mit einer Frist bis zum 19.11.2020 auf, Schäden anzuerkennen.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Die Klägerin hat behauptet, die Abgasrückführung funktioniere nur bei Temperaturen zwischen 10 °C und 32 °C bzw. 15 °C und 30 °C und Höhen unter 1.000 m. Eine Verringerung der Abgasrückführungsrate erfolge ungerechtfertigt schnell bei Temperaturen außerhalb des Bereichs, der auf dem Prüfstand vorliege. Die Motorsteuerung erkenne die Prüfsituation aufgrund einer Zykluserkennung, des Lenkwinkels, der Beschleunigung, der Geschwindigkeit und der Temperatur. Die Grenzwerte würden auch nach dem Update nicht eingehalten. Das Update habe ungünstige Folgen für das Fahrzeug, u. a. einen erhöhten Verschleiß des Partikelfilters.
Die Gesamtlaufleistung betrage 500.000 km, mindestens aber 400.000 km.
Aus den Rückrufschreiben sei für die Halter nicht erkennbar gewesen, dass sie...