Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Architekten bei Abbrucharbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Der mit der Ausführungsplanung betraute Architekt hat bei Teil-Abbrucharbeiten, die eine Sicherung des bestehen bleibenden Bauwerks notwendig machen, eine schriftliche Planung zu erstellen. Der bloße Hinweis auf die DIN 4123 ist unzureichend. Diese DIN ist vielmehr in ein individuelles Planwerk umzusetzen.
2. Bei Aushub- und Unterfangungsarbeiten an einem solchen Bauvorhaben hat der objektüberwachende Architekt in besonders kritischen Phasen ständig vor Ort zu sein und die Arbeiten unter Erteilung fachkundiger Weisungen zu überwachen.
3. Der Bauunternehmer haftet für von ihm verursachte Mängel grundsätzlich allein. In Ausnahme dazu kommt eine Mithaftung des überwachenden Architekten in Betracht bei besonders schwerwiegenden Aufsichtsfehlern und im Rahmen der Überwachung besonders fehlerträchtiger Bauabschnitte.
Normenkette
BGB §§ 426, § 631 ff.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 11.07.2005; Aktenzeichen 23 O 181/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Stuttgart vom 11.7.2005 - Az.: 23 O 181/04 - abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 48.166,66 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % über dem Basiszinssatz seit dem 1.11.2002 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin 33 %, der Beklagte 67 %. Weiter trägt der Beklagte 67 % der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers, im Übrigen trägt der Streithelfer seine außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert der Berufung: 71.753,48 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherung des Bauunternehmers Fa. Bo. GmbH. Die Eheleute H. beabsichtigten, an das im Eigentum von Herrn H. stehende Wohnhaus A. unter Teilabbruch des bislang angebauten Schuppens einen Anbau zu errichten. Hierbei sollte die Gründungssohle des geplanten Anbaus tiefer geführt werden als diejenige des vorhandenen Bestands. Der Beklagte war von den Eheleuten H. mündlich mit den Leistungsphasen 5-8 des § 15 HOAI betraut worden, die Genehmigungsplanung stammt von einem Architekten M. Im Namen der Bauherren beauftragte der Beklagte, der auf der Baustelle durch den Zeugen Z. vertreten war, die Firma Bo. auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses vom 18.4.2002 mit dem Abbruch der Scheune und der Durchführung des Rohbaus. Wegen des Inhalts des Leistungsverzeichnisses wird Bezug genommen auf B 1, Bl. 131-176 d.A., dort insb. Ziff. 1.0.2., 2.0.1. und 6.2.1.
Weiter hat der Beklagte der Firma Bo. ein Gutachten des Dipl.-Ing. Z. aus dem Büro für Ingenieurgeologie B. (Anlage K 3, Bl. 29 d.A.) überlassen. Dort findet sich unter dem Punkt 5.4 "Sicherung der Baugruben und angrenzender Gebäude" (Bl. 38 d.A.) folgende Aussage: "Da das Bauvorhaben im Norden und Süden unmittelbar an den Bestand grenzt, werden die Fundamente des Bestandes in Abschnitten ≤ 1,0 m gem. DIN 4123 bis auf das Gründungsniveau des Anbaus zu unterfangen sein." Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen.
Weiter hat der Beklagte der Firma Bo. am 17.5.2002 (B 2, Bl. 178 d.A.) die wasserrechtliche Genehmigung der geplanten Baumaßnahme durch das Amt für Umweltschutz (Bl. 179 d.A.) überreicht.
Am 27.5.2002 begann die Firma D., die von der Firma Bo. als Subunternehmerin beauftragt worden war, mit dem Aushub der Erdarbeiten. Im Zuge der Aushubarbeiten ist am 4.6.2002 die Giebelwand des Hauses, die stehen bleiben und an die angebaut werden sollte, gegen ca. 13.00 Uhr in die für den Anbau ausgehobene Baugrube gestürzt. Dem Grundstückseigentümer H. entstand hierdurch ein erheblicher Schaden.
Die Firma Bo. und der Grundstückseigentümer H. haben sich am 14.10.2002 mit Zustimmung der Klägerin außergerichtlich dahin geeinigt, dass die Firma Bo. zur Abgeltung jedweder Ansprüche des Herrn H. sowohl ggü. ihr selbst als auch ggü. eventuellen weiteren Schadensersatzverpflichteten einen Betrag von 170.000 EUR bezahlt; hiervon hat die Klägerin im Verhältnis zu ihrer Versicherungsnehmerin 144.500 EUR übernommen (Anwaltsvergleich v. 14.10.2002, K 1, Bl. 16, 17 d.A.), die die Klägerin noch im Oktober 2002 an den Bauherrn bezahlt hat.
Die Klägerin sieht den Beklagten als für den Schaden mitverantwortlich zu 50 % an und hat ihn in 1. Instanz auf dieser Grundlage auf Zahlung von 71.753,48 EUR in Anspruch genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen im 1. Rechtszug und auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LG Stut...