Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB bei Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer prüfzyklusnah bedateten unzulässigen Abschalteinrichtung.
2. Zum Umfang einer sekundären Darlegungslast der Herstellerin betreffend Kenntnis ihrer Repräsentanten (analog § 31 BGB).
3. Zur Tenorierung von Prozesszinsen (§ 291 BGB), wenn im Wege der Vorteilsausgleichung abzusetzende Nutzungen teilweise erst nach Rechtshängigkeit gezogen worden sind.
4. Zu den Voraussetzungen für die Feststellung von Annahmeverzug (hier verneint).
Normenkette
BGB §§ 31, 291, 293-295, 826
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 06.04.2020; Aktenzeichen 6 O 318/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 06.04.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg, Az. 6 O 318/19, abgeändert und die Entscheidungsformel wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 40.158,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. aus 42.407,49 EUR von 16.11.2019 bis 23.03.2021 sowie aus noch 40.158,13 EUR seit 24.03.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Audi SQ5 3.0 TDI Fahrzeugidentifikationsnummer ....
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das in Ziffer 1. genannte Urteil zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 16%, die Beklagte 84%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Soweit die Berufung zurückgewiesen wird, ist das in Ziffer 1 genannte Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei mit Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 80.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Kraftfahrzeugs der Marke Audi SQ5 3.0 TDI auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie der Auffassung ist, das Inverkehrbringen dieses Fahrzeugs mit einer Abschalteinrichtung erfülle die Voraussetzungen des § 826 BGB.
Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
1. Das Fahrzeug mit Erstzulassung 2015 wurde - wie auch der verbaute Motor (3,0l V6 TDI; die exakte Motortypbezeichnung ist streitig) - von der Beklagten entwickelt und hergestellt. Es ist nach Emissionsklasse Euro 6+ typgenehmigt und - wie zahlreiche von der Beklagten produzierte Fahrzeuge - von einer Rückrufanordnung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen, die eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der so genannten "Aufheizstrategie" zum Gegenstand hat.
Es weist zum 23.02.2021 einen Kilometerstand von 76.434 auf.
2. Die Klägerin hatte in erster Instanz behauptet, das Fahrzeug im Jahr 2015 von ... als Neufahrzeug erworben zu haben und sich für ihre Behauptung, in dem Fahrzeug seien Abschalteinrichtungen - ein so genanntes "Thermofenster", eine "Aufwärmstrategie" für den SCR-Katalysator, eine prüfstandsbezogene Manipulation der AdBlue-Dosierung sowie eine Prüfstanderkennung mit Schaltpunktmanipulation - implementiert, auf den o. g. Rückrufbescheid berufen.
Von der Implementierung der Abschalteinrichtungen hätten Mitglieder des Vorstands bzw. der Führungsebene der Beklagten mindestens seit 2014 Kenntnis. Die Beklagte habe diese Abschalteinrichtungen in zahlreichen mit dem streitgegenständlichen Motor ausgerüsteten Fahrzeugen genutzt, um das KBA als Typgenehmigungsbehörde über die Erfüllung der einschlägigen Emissionsnormen zu täuschen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen sowie zum Zwecke der unredlichen und unrechtmäßigen Gewinnmaximierung.
Das Fahrzeug weise aufgrund dieser Bemakelung einen merkantilen Minderwert von mindestens 20% des Erwerbspreises auf.
3. Die Klägerin hatte in erster Instanz beantragt:
Hauptanträge:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug Audi SQ5 3.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs (Fahrzeugidentifikationsnummer:... eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert w...